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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi
Autoren: berry
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Interesse. Er merkte, dass auch die Reporter aufhorchten.
    »Was ich glaube, spielt keine Rolle«, antwortete Valendrea . » Dieser Punkt betrifft vielmehr den einzelnen Geistlichen. Jeder Priester hat vor Gott und der Kirche ein Gelübde abgelegt. Ich erwarte, dass er sein Gelübde hält. Wer dies nicht schafft, sollte die Kirche von sich aus verlassen oder aber zum Gehen gezwungen werden. «
    »Haben Sie Ihr Gelübde gehalten, Eminenz?«
    Michener staunte über Kealys Unverfrorenheit. Vielleicht war ihm einfach klar, dass er nichts mehr zu verlieren hatte.
    Valendrea schüttelte den Kopf. »Halten Sie es für eine gute Verteidigungsstrategie, mich persönlich herauszufordern?«
    »Es ist eine ganz schlichte Frage.«
    »Ja. Ich habe mein Gelübde gehalten.«
    Kealy wirkte nicht weiter beeindruckt. »Eine andere Antwort konnten Sie mir ja wohl auch gar nicht geben.«
    »Wollen Sie mich etwa der Lüge bezichtigen?«
    »Nein, Eminenz. Nur ist es einfach so, dass kein Priester, Kardinal oder Bischof zugeben kann, was er in seinem Herzen empfindet. Jeder von uns ist dazu verpflichtet, das zu sagen, was die Kirche von ihm verlangt. Ich habe keine Ahnung, was Sie wirklich fühlen, und das ist traurig.«
    »Meine Gefühle sind zur Beurteilung Ihrer Häresie unerheblich.«
    »Mir scheint, Eminenz, dass Sie mich schon jetzt verurteilt haben.«
    »Nicht mehr als Ihr Gott. Der tatsächlich unfehlbar ist. Oder wollen Sie diese Doktrin auch angreifen?«
    »Wann hat Gott erklärt, dass einem Priester die Liebe eines Gefährten verwehrt bleiben muss?«
    »Eines Gefährten? Warum sagen Sie nicht einfach einer Frau?«
    »Weil die Liebe keine Grenzen kennt, Eminenz.«
    »Der Homosexualität reden Sie also auch das Wort?«
    »Ich trete nur dafür ein, dass jeder Einzelne seinem Herzen folgen soll.«
    Valendrea schüttelte den Kopf. »Haben Sie vergessen, dass Sie bei Ihrer Ordination in eine Gemeinschaft mit Christus eingetreten sind? Der Kern Ihrer Identität – und das gilt für jeden der hier Versammelten – liegt in der vollständigen Teilhabe an dieser Gemeinschaft. Sie sollen ein lebendes, ungetrübtes Abbild Christi sein.«
    »Aber woher wollen wir das Vorbild kennen? Keiner von uns war dabei, als Jesus lebte und lehrte.«
    »Die Kirche hat es überliefert.«
    »Aber heißt das nicht, dass der Mensch das Göttliche nach seinen Bedürfnissen formt?«
    Ungläubig zog Valendrea die rechte Augenbraue hoch . » Ihre Arroganz ist verblüffend. Wollen Sie etwa behaupten, Christus selbst habe nicht zölibatär gelebt? Er habe seine Kirche nicht über alles andere gestellt? Er sei nicht in eine Gemeinschaft mit seiner Kirche eingetreten?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie Jesu sexuelle Vorlieben aussahen, und Sie auch nicht.«
    Valendrea zögerte einen Moment und sagte dann: »Im Zölibat, Hochwürden, bringen Sie sich selbst zum Geschenk. Es ist Ausdruck Ihrer Hingabe. So lautet die Lehrmeinung der Kirche. Doch Sie scheinen unfähig oder nicht willens, sie zu verstehen.«
    Kealy antwortete, indem er weitere Dogmen anführte, und Micheners Gedanken schweiften ab. Er hatte es vorhin absichtlich vermieden, sich nach ihr umzusehen, denn schließlich war er nicht ihretwegen gekommen. Aber dann ließ er den Blick doch rasch über die etwa hundert Anwesenden gleiten, bis er an einer Frau hängen blieb, die zwei Reihen hinter Kealy saß.
    Ihr Haar war mitternachtsschwarz und bemerkenswert dicht und glänzend. Er hatte es als lange Mähne in Erinnerung, die nach frischen Limonen duftete, doch inzwischen hatte sie einen gestuften Kurzhaarschnitt, der sich leicht mit den Fingern kämmen ließ. Er sah ihr Profil nur von schräg hinten, aber sie hatte noch immer die feine Nase und die schmalen Lippen. Ihr Teint mit seinem hellen Milchkaffeebraun zeugte wie eh und je von ihrer Abstammung: Die Mutter war eine rumänische Zigeunerin und der Vater halb Ungar, halb Deutscher. Ihr Name, Katerina Lew, bedeutete »reiner Löwe«, was Michener bei ihrem Temperament und ihren fanatischen Überzeugungen immer als äußerst passend empfunden hatte.
    Sie hatten sich in München kennen gelernt. Er war damals dreiunddreißig und bereitete sich auf sein Juraexamen vor. Sie war fünfundzwanzig und schwankte zwischen Journalismus und einer Schriftstellerkarriere. Sie hatte gewusst, dass er Priester war, und sie hatten beinahe zwei Jahre miteinander verbracht, bevor es dann zum Eklat kam.
    Dein Gott oder ich , hatte sie erklärt.
    Er hatte sich für Gott
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