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Urbi et Orbi

Urbi et Orbi

Titel: Urbi et Orbi
Autoren: berry
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geben, dass er ihr noch irgendetwas bedeutete. Schließlich hatten sie sich damals vor all diesen Jahren nicht freundschaftlich getrennt.
    Sie wandte sich wieder dem Tribunal zu, und seine Nervosität ließ nach.
    »Father Kealy«, sagte Valendrea gerade. »Ich frage Sie ganz einfach: Widerrufen Sie Ihre Häresie? Sehen Sie ein, dass Ihr Handeln gegen die Gesetze der Kirche und Gottes verstoßen hat?«
    Der Priester rückte näher an den Tisch heran. »Ich glaube nicht, dass die Liebe zu einer Frau dem Gesetz Gottes widerspricht. Daher war es nicht ganz folgerichtig von mir, diese Tatsache wie eine Sünde zu vergeben. Ich habe das Recht, mich öffentlich zu äußern, und so entschuldige ich mich auch nicht für die Bewegung, die ich leite. Ich habe nichts Falsches getan, Eminenz.«
    »Sie sind ein Narr, Father Kealy. Ich habe Ihnen jede erdenkliche Möglichkeit gewährt, um Vergebung zu bitten. Die Kirche kann und soll den Reumütigen vergeben. Aber ohne Reue geht es nicht. Der Sünder muss bußfertig sein.«
    »Ich bitte nicht um Vergebung.«
    Valendrea schüttelte den Kopf. »Es schmerzt mich um Sie und Ihre Anhänger. Sie haben sich offensichtlich dem Teufel ergeben.«
    4
    13.05 Uhr
     
    A lberto Kardinal Valendrea stand schweigend da und hoffte, dass die Euphorie, die ihn nach der Verhandlung erfüllt hatte, seine aufsteigende Gereiztheit dämpfen würde. Erstaunlich, wie schnell ein Ärgernis eine freudige Stimmung vertreiben konnte.
    »Was meinen Sie, Alberto?«, fragte Clemens XV. . »Bleib t m ir noch Zeit für einen Blick auf die Menge?« Der Papst zeigte auf die Fensternische mit dem geöffneten Fenster.
    Es ärgerte Valendrea, dass der Papst seine Zeit damit verschwendete, vor einem offenen Fenster zu stehen und den Leuten auf dem Petersplatz zuzuwinken. Der Sicherheitsdienst des Vatikans hielt diese Geste für gefährlich, doch der alte Narr ignorierte die Warnungen. Die Presse schrieb ständig darüber und verglich den Deutschen mit Johannes XXIII. Tatsächlich gab es Parallelen. Beide waren erst als beinahe Achtzigjährige auf den Papststuhl gelangt. Beide waren als Übergangspäpste gewählt worden. Und beide hatten jedermann überrascht.
    Valendrea hasste es, wie die Vatikanbeobachter das geöffnete Papstfenster als Bild für alles Mögliche sahen. Es stehe für Clemens ’ lebhaftes Denken, seine bescheidene Art, seine Offenheit und charismatische Wärme. Aber bei der Papstwürde ging es nicht um Popularität. Es ging um Beständigkeit, und der Kardinalstaatssekretär war wütend, wie leichtfertig Clemens viele altehrwürdige Sitten abgetan hatte. Die Berater des Papstes knieten sich nicht mehr nieder, wenn er den Raum betrat, kaum noch einer küsste den Papstring, und Clemens sprach so gut wie nie in der ersten Person Plural, was die Päpste vordem jahrhundertelang getan hatten. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert , sagte Clemens gerne, wenn er wieder einmal irgendeiner Tradition den Garaus machte.
    Valendrea erinnerte sich gut an die noch gar nicht so lange zurückliegenden Zeiten, als ein Papst sich niemals ins offene Fenster stellte. Von den Sicherheitsbedenken einmal abgesehen, erwarb sich ein Papst, der selten zu sehen war, eine Aura des Geheimnisvollen. Nichts förderte Glauben und Gehorsam mehr als der Eindruck des Mysteriums.
    Seit beinahe vier Jahrzehnten diente er verschiedenen Päpsten. Er war in der Kurie schnell aufgestiegen und hatte sich sein Birett verdient, als er noch nicht einmal fünfzig war. Damit war Valendrea einer der jüngsten Kardinäle der neueren Zeit. Inzwischen war er als Kardinalstaatssekretär der zweitmächtigste Mann der katholischen Kirche und durch sein Amt in alle Tätigkeiten des Heiligen Stuhls eingebunden. Aber er wollte mehr. Er wollte der Mächtigste sein. Derjenige, dessen Entscheidungen nicht angezweifelt wurden. Der, der unfehlbar war.
    Er wollte Papst sein.
    »Heute ist ein so schöner Tag«, sagte der Papst gerade . » Der Regen hat sich wohl verzogen. Die Luft ist wie daheim in den Alpen. Eine Gebirgsfrische. Es ist eine Schande, drinnen zu sein.«
    Clemens trat ein Stück in die Fensternische, doch von draußen war er noch nicht zu sehen. Der Papst trug eine weiße Leinensoutane und die traditionelle weiße Mozetta als Schulterumhang. Seine Füße steckten in rotbraunen Schuhen, und sein teilweise kahler Kopf war von der Scheitelkappe bedeckt. Er war der einzige Prälat unter einer Milliarde Katholiken, der sich auf diese Weise kleiden
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