Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)

Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)

Titel: Urbat: Gefährliche Gnade (German Edition)
Autoren: Bree Despain
Vom Netzwerk:
legte meinen Notizblock auf die Bank.
    Daniel rieb mir wärmend über die Arme und drückte seine Nase in meinen Nacken.
    »Du hast eine Stunde, um damit aufzuhören«, sagte ich mit einem leisen Lachen, wenngleich wir so ziemlich die Einzigen waren, die den Garten der Engel je besuchten.
    »Wie wäre es mit zwei?«, fragte er und drückte seine Lippen zärtlich auf meine Haut. Ich wäre fast geschmolzen. Er strich mein Haar zurück und küsste die Stelle hinter meinem Ohr.
    Ich seufzte und der Kohlestift fiel mir aus der Hand. Er traf die Kante der Steinbank und rollte dann weiter bis zum Fuß der Statue, die ich gerade gezeichnet hatte. Es war die Skulptur von Gabriel, dem Engel, den Daniel mir gezeigt hatte, als wir zum ersten Mal hier gewesen waren.
    Daniels feste Lippen strichen über meinen Hals, bis sie das feine Kettchen meines Anhängers erreichten, den ich jetzt fast immer trug. Etwas in mir rührte sich, und instinktiv griff ich nach dem Mondstein. Daniel wich ein Stückchen zurück.
    »Hilft er dir?«, fragte er. Sein Atem fühlte sich auf meinem Haar ganz warm und wunderbar an. Ein wohliger Schauer kroch von meinem Nacken bis unter die Schädeldecke. Meine Hand schloss sich fester um den Anhänger und ich ließ das warme und pulsierende Gefühl der Beruhigung, das von dem Stein ausging, durch meinen Körper fließen.
    »Ja«, sagte ich, erwähnte jedoch nicht, dass ich ihn in letzter Zeit öfter zu brauchen schien, als in den ersten Monaten nach meiner Infizierung. Ich wollte nicht, dass Daniel sich Sorgen machte.
    »Gut«, sagte er. »Ich wünschte, ich hätte so wie du gleich von Anfang an einen Mondstein gehabt.« Seine Hände lösten sich von meinen Schultern. Er trat einen Schritt zurück und entzog mir seine Wärme. »Ich frage mich, ob ich es dann geschafft hätte, dem Wolf von vornherein zu widerstehen …« Seine Stimme erstarb, und ich musste nicht überlegen, wieso. So viel Schmerz war wegen der Geschehnisse jener Nacht in sein Leben – in unsere Leben – getreten.
    Ich drehte mich um und sah in seine tiefbraunen Augen. »Wirst du dir für diese Nacht jemals selbst vergeben können?«
    Daniel stopfte seine Hände in die Jackentaschen. »Wenn dein Bruder es kann.«
    Ich biss mir auf die Lippe. Das bedeutete zunächst einmal, dass wir Jude finden mussten. Doch mit jeder weiteren Woche, die er verschwunden blieb, schien diese Aussicht immer unwahrscheinlicher. »Er muss. Irgendwann. Glaubst du nicht?« Mein Dad hatte einmal gesagt, dass jemand, der sich weigerte zu vergeben, selbst zu einem Monster würde, wenn er seinen brennenden Zorn allzu lange in sich behielte. Aber ich vermute, dass dies mit Jude schon längst geschehen war. Er hatte sich in ein Monster verwandelt – in einem weitaus wörtlicheren Sinn, als mein Vater es gemeint hatte – in einen Werwolf, der mich infiziert und dann Daniel zu töten versucht hatte. Und alles nur, weil er nicht vergeben konnte, dass Daniel ihn in der Nacht, in dem er selbst dem Fluch des Wolfs erlegen war, infiziert hatte.
    »Glaubst du, dass er aus seinem Zustand jemals wird zurückkommen können?«, fragte ich. »Selbst wenn wir ihn finden – glaubst du, dass er dann noch derselbe Mensch ist wie vorher …?« Ein scharfer Schmerz loderte plötzlich in meinem Arm auf, dort, wo Jude mich gebissen hatte. Ich rieb mit der Hand über die Narbe, die unter meinem Ärmel versteckt war.
    »Ich weiß nicht«, sagte Daniel. »Ich konnte es – mit deiner Hilfe. Aber das heißt nicht, dass jeder es kann. Jude wird sich so lange nicht ändern, bis er es will. Und wenn der Wolf einmal die Herrschaft übernommen hat, ist sein Einfluss so überwältigend, dass es beinahe unmöglich ist, dich daran zu erinnern, wer du einmal gewesen bist.«
    Ich nickte und fragte mich, ob auch mich dieses Schicksal eines Tages erwartete.
    Daniel kam zu mir. Er streckte die Hand aus und berührte den Mondsteinanhänger an meiner Brust. Seine Finger zeichneten die scharfe Kante nach, wo der Stein in zwei Hälften zerbrochen war, nachdem Jude ihn vor drei Monaten vom Dach der Pfarrkirche hinuntergeschleudert hatte.
    »Ich danke Gott jeden Tag, dass ich diesen Stein für dich wiedergefunden habe. Auch wenn nur noch die Hälfte des ursprünglichen Steins übrig ist, so reicht er doch aus, um dich zu beschützen. Er hilft dir dabei, dich nicht selbst zu verlieren – so wie es mir passiert ist. Wie Jude. Er hilft dir dabei, menschlich zu bleiben.« Daniels Finger lösten sich von dem Stein.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher