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Urban Gothic (German Edition)

Urban Gothic (German Edition)

Titel: Urban Gothic (German Edition)
Autoren: Brian Keene
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die umgebende Dunkelheit. Bisher war es ein feiner Abend gewesen. Erst auf einer Party einige Mädchen kennengelernt und Spaß gehabt. Alles rundum perfekt. Danach hatten sie auf dem Heimweg herumgealbert und sich amüsiert, als sie auf den liegen gebliebenen Kombi stießen. Sie merkten sofort, dass die Teenager darin Hilfe brauchten. Sie gehörten nicht hierher, waren Außenseiter. Einfache Beute. Dieses Viertel galt schon bei Tageslicht als üble Gegend, aber nachts – nachts war es ein regelrechter Dschungel. Nachts trieben sich Monster auf den Straßen herum.
    Und in den Schatten sogar noch Schlimmeres.
    Crack-, Heroin- und Methamphetaminhuren streunten umher, machten für 20 Mücken – genug für die nächste Dröhnung – den keimverseuchten Mund auf, spreizten die Beine oder hielten den Arsch hin. Alles wurde von Dealern kontrolliert – die Straßenecken, die Häuser, die Wohngebäude und alles dazwischen. In den Wohnungen gab es Ratten, Schimmel, Kakerlaken und alle möglichen sonstigen Gesundheitsrisiken. Aus einem kaputten Abwasserrohr ergossen sich Scheiße und Pisse auf die Straße, trotzdem unternahm das Bauamt nichts dagegen. Die Bullen kamen höchstens auf dem Weg zu einem Notruf in einer anderen Gegend vorbei. Dasselbe galt für Krankenwagen und die Feuerwehr. »To serve and protect«, das Motto der Polizei, spielte in diesem Teil der Stadt keine große Rolle.
    Vor zwei Jahren hatte eine fettleibige Frau, die wegen ihrer Körperfülle nicht mehr aus dem Haus konnte, vor dem Fernseher einen Herzinfarkt erlitten, als sie sich gerade Judge Judy ansah. Ihre Familie hatte die Notrufzentrale angerufen. Zweimal. Und dann erneut am nächsten Tag. Und am Tag darauf. Eine ganze Woche verging, bevor die Sanitäter endlich eintrafen. Bis dahin hatte die Tote bereits angefangen, Gewicht zu verlieren.
    Ein ganz gewöhnlicher Tag im Paradies.
    Vor einem Jahr war ein zwölfjähriges Mädchen mit Kinderlähmung nur wenige Häuser von dort entfernt gestorben, wo Leo mit seinen Freunden in diesem Moment stand. Tagelang hatte das Mädchen auf einer nackten, mit Scheiße und Pisse besudelten Matratze in einem stinkenden, heißen Raum gelegen und um Wasser gebettelt. Die Familie der Kleinen hatte ihre Schreie ignoriert. Madenverseuchte Wundstellen übersäten ihren unterernährten, dehydrierten Körper, die Muskeln waren völlig verkümmert. Als man sie schließlich entdeckte, wog sie keine 20 Kilo mehr. Die Umrisse ihres Körpers drückten sich in die Matratze ein. Das Sozialamt hätte ihr helfen können – nur kamen Sozialarbeiter nie in diese Gegend der Stadt.
    Niemand tat das.
    Und das von allen gemiedene Haus am Ende der Straße galt als besonders hungrig.
    Leos Blick wanderte erneut in Richtung des Gebäudes. Er wollte nicht hinsehen, aber die schreckliche Anziehungskraft des alten Gemäuers schien geradezu magnetisch zu sein. Er musste hinschauen. Unwillkürlich zitterte er und hoffte, dass es die anderen nicht merkten. Sie sollten nicht mitbekommen, dass er sich fürchtete – obwohl er verdammt gut wusste, dass sie selbst Schiss hatten.
    Jeder hatte Schiss vor dem Haus am Ende des Blocks. Es schien besser zu sein, Kinder mitten auf der Autobahn als dort drüben spielen zu lassen. Menschen, die das Haus betraten, wurden nie wieder gesehen.
    Manchmal hörte man sie – leise, gedämpfte Schreie, die abrupt verstummten. Aber sie blieben verschwunden.
    In jedem Viertel – selbst in ihrem – gab es ein verwunschenes Haus.
    Leo schüttelte den Kopf. Warum hatten diese weißen Teenager nur so reagieren müssen? Er und die Jungs hatten sie doch bloß ein wenig auf den Arm genommen. Gerade hatte er sagen wollen: »Lasst uns das kurz und schmerzlos erledigen. Ich sag euch, wie wir’s machen. Ihr gebt uns 20 Mäuse, und wir reparieren das Auto für euch.« Und das hätten sie auch gekonnt. Angel Montoya betrieb zwei Häuserblocks die Straße runter eine illegale Werkstatt, in der geklaute Autos ausgeschlachtet wurden, und Angel mochte Leo und seine Freunde. Er ließ sie manchmal in der Werkstatt abhängen und sie durften sich kostenlose Limonade aus dem staubigen Verkaufsautomaten nehmen. Wenn sie ihn darum gebeten hätten, dann hätte er das Auto repariert.
    Aber noch bevor Leo ausreden konnte, hatte der Junge mit der Brille gebrüllt: »Leck mich, Nigger!« Und dann waren die Kids losgerannt. Diese Reaktion hatte Leo kurzzeitig sprachlos gemacht. Er war nicht zum ersten Mal von Weißen so genannt worden, nur hätte
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