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Urban Gothic (German Edition)

Urban Gothic (German Edition)

Titel: Urban Gothic (German Edition)
Autoren: Brian Keene
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er in dieser Nacht – und unter diesen Umständen – nie damit gerechnet. Er fühlte sich wütend und verletzt und hatte einen Moment gebraucht, um den Schock zu überwinden. Dann hatte er den Teenagern nachgebrüllt und versucht, sie zu warnen, in die Dunkelheit am Ende der Straße zu rennen. Sie aufgefordert, sich vom Haus fernzuhalten. Er wusste nicht, ob sie ihn gehört hatten oder nicht. Jedenfalls waren sie weitergelaufen. Verdammt, eines der Mädchen hatte sogar ihr Handy fallen gelassen und sich nicht danach gebückt. Einer der Jungen hatte es für sie aufgehoben, aber ihr selbst schien es offenbar nicht so wichtig zu sein. Wenn er es im Nachhinein aus ihrer Sicht betrachtete, konnte Leo ihnen keinen Vorwurf daraus machen, falls sie ihn zwar rufen gehört, aber einfach ignoriert hatten.
    Wahrscheinlich hätte er sie nicht ›Motherfuckers‹ nennen sollen. Wohl kaum der beste Weg, um Freunde zu gewinnen und Menschen für sich einzunehmen. Mehrere Blocks entfernt ertönten Schüsse. Weder Leo noch die anderen zuckten auch nur zusammen. Sie hatten sich daran gewöhnt. Solche Geräusche waren hier so alltäglich wie Verkehrslärm, Sirenen, Tauben oder was man sonst so in einer Stadt hörte. Leos älterer Bruder hatte früher oft gesagt, das Geräusch von Schüssen helfe ihm nachts beim Einschlafen.
    Mittlerweile saß sein Bruder im nördlichen Teil des Bundesstaats in Cresson ein und verbüßte wegen einer idiotischen Verurteilung 20 Jahre bis lebenslänglich. Leo fragte sich, welche Geräusche ihn im Knast in den Schlaf lullten.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte Chris erneut. »Hauen wir einfach ab und tun so, als wären die nie hier gewesen?«
    »Hört sich vernünftig an«, meinte Jamal. »Besser, wir kümmern uns um unseren eigenen Kram. Ist sicherer. Versteht ihr, was ich meine?«
    Leo sah seine Freunde an und musterte ihre Gesichter. Dann richtete er die Aufmerksamkeit wieder auf das Haus.
    »Ich sag euch, was wir machen. Wir rufen die Bullen.«
    Markus lachte. »Die Penner werden einen Scheißdreck unternehmen. Da könnten wir ebenso gut die Nationalgarde alarmieren.«
    »Wahrscheinlich hast du recht«, pflichtete Leo ihm bei. »Aber es ist nicht richtig, sie einfach dort reingehen zu lassen. Ihr kennt alle die Geschichten, die sich um das Haus ranken. Hat irgendjemand Lust, selbst reinzugehen und sie zu retten?«
    Markus starrte auf den Boden. Jamal und Chris tauschten kurze Blicke. Die anderen taten, als hätten sie nichts mitbekommen.
    »Keiner von euch will den Helden spielen?«, forderte Leo sie heraus. »Keiner will mit rauchenden Colts reinstürmen?«
    Niemand erwiderte etwas.
    Weitere Schüsse ertönten und verhallten. In weiter Ferne erklang eine verschlafen und teilnahmslos klingende Polizeisirene.
    »Tja«, meinte Leo nach einer Pause. »Das ist schon in Ordnung. Ich will’s auch nicht tun. Nicht bei dem Haus.«
    Er drehte sich um und starrte erneut hin.
    »Nicht da drin.«

3
    Als die bedrohliche Gestalt in die Diele stürmte, wichen Kerri und Javier zurück und hätten beinahe Stephanie, Brett und Heather umgestoßen. Klumpen von Tylers Haaren, Kopfhaut und Blut tropften von der Waffe, die der Mörder in den knotigen Händen hielt – ein grober Granitbrocken von der Größe einer Wassermelone, befestigt an einem Stück Eisenrohr. Zusammen bildeten die beiden Teile einen primitiven, aber effektiven Streithammer. Fassungslos fragte sich Kerri, wie es möglich war, ein solches Monstrum zu halten, geschweige denn zu schwingen. Dann heftete sich ihr Blick auf den Angreifer und die Frage erübrigte sich.
    Er richtete sich zu voller Größe auf, hob den Hammer, streckte ihn aus und grölte – ob wütend oder amüsiert, vermochte Kerri nicht zu sagen. Wahrscheinlich traf beides zu. Er ragte über 2,10 Meter hoch auf. Dicke Muskelstränge überzogen die Brust, Arme und Beine. Seine Haut besaß die Farbe von Provolone-Käse und war mit großen braunen Muttermalen und eitrigen Wundstellen überzogen. Blutiger Speichel tropfte aus seinem offenen Mund und sickerte dabei über Zahnfleisch, das sich von den schwarzen abgebrochenen Zähnen zurückgezogen hatte. Seine Atmung ging rasselnd und abgehackt. Sein kahler Schädel wirkte missgebildet. Er starrte sie mit Augen an, die nicht oval, sondern fast vollkommen rund zu sein schienen. Die Pupillen schimmerten schwarz.
    Der Fremde war fast völlig nackt und trug nur einige mit ausgefranstem Klebeband zusammengeflickte Müllsäcke. Sie raschelten, wenn er
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