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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
Autoren: Sándor Márai
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Abenteuer des Lebens langsam wie Cyrano: Er ist sein eigener Souffleur.
    Zauber ist bei der Premiere durchgefallen. Eiseskälte im Zuschauerraum – er war nicht nur ungeheizt, auch das Publikum war innerlich eiskalt. Eine schlechte, schleppende, vom Lampenfieber zerrüttete Aufführung. Nur die Buhrufe haben noch gefehlt. Statt Kritiken eine Flut an Ehrenbeleidigungen. All das ist zutiefst langweilig.
    Was interessanter ist: Die erste Aufführung, die ich sehe, ist bereits die dritte. Sie wird am Sonntagnachmittag gespielt. Das Haus ist drei Viertel voll. Das Stück ist schlecht. Was daran glitzern würde und verspielt wäre, versickert in der Gleichgültigkeit des Zuschauerraums und im müden, langsamen, dumpfen Spiel der Schauspieler. Klári Tolnay ist die Einzige, die den Text manchmal klingen lässt. Am Abend schaue ich mir dann den ersten Aufzug an. Das Haus ist zum Bersten voll, es gibt auch keine Notsitze mehr. Die Masse schaut gespannt zu, lacht, weint, klatscht. Die Aufführung ist immer noch taub. Im Zuschauerraum sehe ich kein einziges mir bekanntes Gesicht. Als würde ich irgendwo in Kopenhagen oder Oslo im Theater sitzen. Die Zuschauer sind mir auch auf andere Art fremd, nicht nur so wie jemand, der mir persönlich nicht bekannt ist: Sie sind mir in ihrem Wesen fremd, neue Menschen sitzen im Zuschauerraum, Männer in Ledermänteln, Damen, angezogen wie Marktfrauen. Jetzt sehe ich, was ich bisher nur wusste: Die Veränderung ist tiefgreifend, der Bruch vollkommen. Zwei Welten blicken einander an, auf der Bühne und im Zuschauerraum. Diese beiden Welten haben atmosphärisch nichts mehr miteinander zu tun.
    Vier Tage später schaue ich mir die sechste oder siebte Aufführung an, die viel besser ist als die vorherigen. Ajtay spielt zwar irgendeinen resignierten alten deutschen Fotografen vom Land, und in der großen Szene, wenn Rex ihn niedersticht, plaudern die beiden Männer freundlich miteinander. Aber sonst ist das Spiel lebendiger. Im ungeheizten Zuschauerraum frösteln vielleicht dreißig Menschen. Doch die schauen aufmerksam zu und klatschen.
    Den Grund für einen Misserfolg dürfen wir niemals bei anderen suchen. Es stimmt nicht, dass »das Publikum schuld ist«, und auch nicht, dass die Schauspieler, die Aufführung, die Regie den Misserfolg verursacht haben. Ein wirklich perfektes Theaterstück kann von niemandem und nichts zu Fall gebracht werden. Wenn Zauber durchgefallen ist – und mir scheint, es ist durchgefallen, auch wenn es sich noch zum Publikumserfolg mausert –, dann können nur ich und mein Theaterstück etwas dafür.
    Jetzt, da ich zum dritten Mal die verschiedenen Akte gesehen habe – aus der Tiefe einer Loge, also mit den Augen des Publikums –, sage ich mir doch: Dieses Stück ist nicht schlecht. Es steckt viel schriftstellerisches Material darin, viel Spannung und Bühnentauglichkeit. Abgesehen von all dem fehlt ihm trotzdem etwas, das auf der Bühne unbedingt nötig ist. Und es steckt etwas in ihm, das für die Bühne zu viel ist. Das sind alles Fehler. Über den ersten Fehler hätte das Theater hinweghelfen können, wenn die Schauspieler, die Regie all das hinzugeben würde, was fehlt. Das ist nicht geschehen. Über den zweiten Fehler kann niemand hinweghelfen, denn er ist organisch. Kurzum: Ich bin durchgefallen. Und jetzt reden wir von etwas anderem.
    Das Leben ist wunderbar. Alles hängt mit allem zusammen, entwickelt sich organisch, in der Zeit, im Umkreis des Lebens. Alles tritt mit einer organischen Konsequenz ein wie Geburt und Tod.
    Das Leben und die Kunst sind zwei beängstigende Spiegel: Mit gefährlicher Dualität spiegeln sie einander. Die Handlung des Lebens verdichtet sich manchmal zur Kunst, und der Lauf der Kunst spiegelt mit gespenstischem Naserümpfen das Leben wider, beschwört es herauf.
    Ein junger Mann, László Lukács , hat einige Gedichte von Rilke übersetzt. Er war im Strafarbeitsdienst und ist gestorben. Sein Werk ist eine große Überraschung: Seit Árpád Tóth hat es keinen gegeben, der einen fremden Dichter in so perfekter Wiedergabe hat sprechen lassen.
    Nur der Unbegabte, der Nichtswürdige will Rache. Ein Mensch von Rang erträgt jeden Schlag, ohne etwas zu sagen; er wartet, bis seine Zeit gekommen ist, und fordert dann Gerechtigkeit, nicht Rache.
    »Weihnachten.«
    Der Junge spielt für uns – wie Jeromos Réz in einer Skizze von Karinthy – höflich die Komödie. Er ist empfindsam, findet aber leicht wieder in die emotionslose Realität
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