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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich
Autoren: Theodor Fontane
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Brief des Vaters (er schrieb oft, weil ihn ein Gefühl der Verlassenheit dazu drängte) respektvoll erwidert wurde, so vergeblich waren doch andererseits alle bisher unternommenen Schritte zur Herbeiführung eines Ausgleichs gewesen. Mit der ihr eigenen Offenheit hatte sich Christine, dem Bruder gegenüber, über diese Frage verbreitet, und zwar diesmal unter Beiseitehaltung alles moralischen Hochmuts. »Ihr alle«, so schrieb sie, »habt Euch daran gewöhnt, mich als abstrakt und doktrinär anzusehen, und ich mag davon in zurückliegenden Jahren mehr gehabt haben, als recht war, jedenfalls mehr, als die Männer lieben. Aber das darf ich Dir versichern, in erster Reihe bin ich doch immer eine Frau. Und weil ich das bin, verbleibt mir in all dem Zurückliegenden ein Etwas, das mich in meiner Eitelkeit oder meinem Selbstgefühl bedrückt. Ich mag es für nichts Besseres ausgeben. Holk, um es rundheraus zu sagen, ist nicht recht geheilt. Wenn er das Fräulein drüben geheiratet und über kurz oder lang eingesehen hätte, daß er sich geirrt, so fände ich mich vielleicht zurecht. Aber so verlief es nicht. Sie hat ihn einfach nicht gewollt, und so besteht denn für mich, um das mindeste zu sagen, die schmerzliche Möglichkeit fort, daß das Stück,
wenn
sie ihn gewollt, einen ganz anderen Verlauf genommen hätte. Die Reihe wäre dann mutmaßlich nie wieder an mich gekommen. Ich spiele in dieser Tragikomödie ein bißchen die faute-de-mieux-Rolle, und das ist nicht angenehm.« Von diesem Briefe Christinens hatte Holk die Hauptsache wiedererfahren, und was sich darin aussprach, das stand beständig vor seiner Seele, trotzdem der alte Petersen und Arne gemeinschaftlich bemüht waren, seine Hoffnung auf einen guten Ausgang wieder zu beleben. »Du darfst Dich diesem Gefühle von Hoffnungslosigkeit nicht hingeben«, schrieb Petersen an Holk. »Ich kenne Christine besser als ihr alle, selbst besser als ihr Bruder, und ich muß Dir sagen, daß sie, neben ihrer christlichen Liebe, die ja Verzeihung für den Schuldigen lehrt, auch noch eine rechte und echte Frauenliebe hegt, so sehr, daß sie Dir gegenüber in einer gewissen liebenswürdigen Schwäche befangen ist. Ich sehe das aus den Briefen, die von Zeit zu Zeit aus Gnadenfrei bei mir eintreffen. Es liegt alles günstiger für Dich, als Du's glaubst und als Du's verdienst, und es würde mir meine letzte Stunde verderben, wenn's anders wäre. Mit achtzig weiß man übrigens, wie's kommt, und dafür verbürge ich mich, Helmuth, daß ich Eure Hände noch einmal wieder ineinanderlege, wie ich's vordem getan, und das soll meine letzte heilige Handlung sein, und dann will ich aus meinem Amt treten und abwarten, bis Gott mich ruft.«
     
    Das war Anfang April gewesen, daß Petersen so geschrieben, und wenn Holk der mehr als halben Sicherheit, die sich darin aussprach, für seine Person auch mißtraute, so kamen ihm doch immer wieder Stunden, in denen er sich daran aufrichtete. So war es auch heute wieder, und von heiteren Bildern erfüllt, saß er auf dem Vorderbalkon seines Hauses, unter dem Gezweig einer schönen alten Platane, die hier schon gestanden haben mochte, als, vor nun gerade hundert Jahren, dieser ganze Stadtteil erst errichtet wurde. Die hohen, bis auf die Diele niedergehenden und nach unten zu halb geöffneten Schiebefenster gestatteten einen freien Verkehr zwischen Zimmer und Balkon, und das Feuer in seinem Drawing-Room, das mehr des Anblicks als der Wärme halber brannte, dazu die Morgenzigarre, steigerte das Behagen, das er momentan empfand. Neben ihm, auf einem leichten Rohrstuhl, lag die »Times«, die, weil das anmutige Frühlingsbild vor ihm ihn bis dahin abgezogen hatte, heute, sehr ausnahmsweise, beiseite geschoben war. Nun aber nahm er sie zur Hand und begann seine Lektüre wie gewöhnlich in der linken Ecke der großen Anzeigebeilage, wo, durch schärfste Diamantschrift ausgezeichnet, die Familiennachrichten aus dem Londoner High Life verzeichnet standen: geboren, gestorben, verheiratet. Auch heute lösten sich die drei Rubriken untereinander ab, und als Holk bis zu den Eheschließungen gekommen war, las er: »Miss Ebba Rosenberg, Lady of the Bedchamber to Princess Mary Ellinor of Denmark, married to Lord Randolph Ashingham formerly 2d. Secretary of the British Legation at Copenhague.«
    »Also doch«, sagte Holk, sich verfärbend, im übrigen aber nicht sonderlich bewegt, und legte das Blatt aus der Hand. Vielleicht, daß es ihn tiefer getroffen hätte,
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