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Unverstanden

Unverstanden

Titel: Unverstanden
Autoren: Karin Slaughter
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als er an den Vorfall dachte.

    Der Polizist, der die Anzeige aufnahm, hatte nur gesagt: »Das war offensichtlich jemand, der Sie kennt.«
    Martin nahm den Aktenkoffer in die andere Hand, als er die Einfahrt hinunterging. Es hatte leicht angefangen zu regnen, die Tropfen kitzelten seine Nasenspitze. Er schaute sich die Blumen im Garten an - komischerweise war Evie eine ausgezeichnete Gärtnerin. Auf dem vorderen Rasen blühten alle möglichen exotischen Blumen. Bevor der Gartenclub sie erst gebeten hatte zu gehen und sie schließlich hinauswarf, war Evie viel gerühmt für ihre farbenfrohen Pfingstrosen gewesen.
    Martin schloss seinen Camry mit der Hand auf (er hatte irgendwo gelesen, dass die Benutzung der Fernbedienung Hodenkrebs verursachen könne) und warf den Aktenkoffer auf die Rückbank.
    Er saß schon fast im Auto, als ihm auffiel, dass mit der Frontseite etwas nicht stimmte. Er ging langsam nach vorne und sah, dass die Stoßstange praktisch abgerissen war.
    »Verdammt«, murmelte er. Er warf einen Blick zurück zum Haus und sah, dass der Vorhang im Wohnzimmer sich bewegte. Er konnte nichts dagegen tun, dass ihm sofort Evies Gelächter in den Ohren klang. »Das war natürlich jemand, der ihn
kennt«, hatte sie dem Polizisten gesagt, der die Anzeige aufnahm. »Haben Sie in Ihrem Leben schon mal’nen größeren Schlappschwanz gesehen?«
    Er hatte keine Lust auf eine weitere demütigende Anzeige bei der Polizei, und Ben Sabatini antwortete auf seine Anrufe wegen des »Schlappschwanzes« sowieso nicht mehr. Mit beiden Händen zerrte Martin an der Plastikstoßstange und bog das hängende Teil hin und her, bis es vom Rest abbrach. Erst als er das kaputte Teil in den Kofferraum warf, bemerkte er das Blut an seinen Händen. Dünne Linien, fast wie Papierschnitte, liefen kreuz und quer über seine Handflächen. Martin zog sein Taschentuch aus der Hose und wischte sich damit die Hände. Er brauchte nicht zum Haus zu schauen, um zu wissen, dass seine Mutter ihn beobachtete.
    Hätte Martin nicht kurz nach seiner neuerlichen Lektüre von Joe McGinnis »Die Unschuld des Mörders« Tom Clancy gelesen, dann hätte das Blut an seinen Händen bei ihm vielleicht die Erinnerung geweckt, dass Jeffrey MacDonald, die Hauptfigur dieser klassischen Kriminalreportage, nur aufgrund von am Tatort gefundenen Blutspuren für schuldig befunden wurde, seine gesamte Familie massakriert zu haben. Stattdessen träumte er davon, dass Clancys Held Jack Ryan dem höchstwahrscheinlich
betrunkenen Halunken, der gegen Martins Camry gekracht war, auflauerte.
    Er schaute sich kurz nach etwaigen Heckenschützen um, öffnete dann noch einmal die Tür und stieg ein.

Wir lernen Martins Arbeitskollegen kennen oder Die Hölle, die Martins Arbeitsleben ist

    Southern Toilet Supply wurde vor fast sechzig Jahren als Familienbetrieb gegründet. Was in einer einfachen Wellblechhalle begonnen hatte, entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einer großen, modernen Fabrik. Ende der Neunziger kaufte ein deutscher Konzern die Firma. Spreckels Popobello war ebenfalls ein Familienunternehmen, seine neuen Familienmitglieder behandelte es allerdings nur in etwa so gut wie Evie ihren Sohn Martin behandelte, was bedeutete, dass am Tag nach der Übernahme die Hälfte der Belegschaft gefeuert wurde. Die Deutschen zeigten sich selten persönlich, schickten allerdings täglich lange Mitteilungen an Norton Shaw, in denen sie in gebrochenem Englisch bessere Ergebnisse forderten.
    »Warum die 2300 nicht erreichen kann höhere Zahlen des Verkaufens?«
    Dazu muss gesagt werden, dass Toilettenpapierrollen
für den industriellen Bedarf nicht besonders schwer zu verkaufen waren, doch der Qualitätsstandard der Superrolle 2300 entsprach nicht gerade denen der Scott 500 oder der Georgia Pacific 2-92, dem Referenzprodukt im Sanitärbedarf für den Normalverbraucher. Benutzer der 2300 berichteten oft von frühem Reißen schon beim ersten Wischen, gefolgt von katastrophalen Pannen bei nachfolgenden Wischvorgängen. Testpersonen hatten mitten in der Versuchreihe abgebrochen, weil sie um besserer Hygiene willen gern auf die fünfzig Dollar Honorar verzichteten. In der Anfangszeit des Sanitärbedarfs war das kein Thema gewesen. Damals hatte noch keiner berechnet, dass man, je dünner das Papier war, umso mehr Blätter benutzen musste. Dies erwies sich zwar viele Jahre lang für Southern Toilet Supply als Wettbewerbsvorteil, doch allmählich dämmerte den Kunden etwas. Warum acht Dollar für
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