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Unverstanden

Unverstanden

Titel: Unverstanden
Autoren: Karin Slaughter
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Martin Reeds verquerem, krankem Hirn vor sich ging.
    An musste man zugutehalten, dass sie sich bemüht hatte, auch noch das kleinste Indiz zu finden, das für Martins Unschuld sprach. Doch mit jeder Nachforschung, die sie anstellte, schien sich das Loch für ihn nur noch zu vergrößern: Seine Arbeitskollegen schienen ihn für eine Mischung aus Baby Huey und Charles Manson zu halten. Dazu
kamen die forensischen Indizien - Martins Sperma in Unique, sein Speichel und Sperma auf dem Boden des Büros und in seinem Schuh -, und so konnte An nichts anderes tun, als dazusitzen und darauf zu warten, dass der Richter sein Urteil fällte. Und ein Urteil, das fällte, war es wirklich.
    »Martin Harrison Reed, ich verurteile Sie zum Tod durch eine letale Injektion.«
    Tod! Es wirkte ein bisschen hart, aber vielleicht hatte An in den Monaten ihrer Gespräche mit Martin eine Schwäche für ihn entwickelt. Sie hatten so viele Stunden miteinander verbracht, und doch hatte sie das Gefühl, ihn kaum zu kennen. Er hatte sogar versucht, Niederländisch zu lernen (sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, dass ihre Familie eigentlich aus Friesland stammte - Niederländisch war schwierig genug, aber der friesische Dialekt hätte ihn wahrscheinlich in den Selbstmord getrieben). Ehrlich gesagt, wenn man ihn nicht anschaute oder zu lange mit ihm sprach, war er eigentlich ein ganz netter Kerl.
    Natürlich hatten die Kollegen in der Arbeit bemerkt, dass An sich anders verhielt. Bruce war es zuerst aufgefallen, daran etwa, dass sie sich eine Bluse bügelte oder die Haare kämmte. Immerhin arbeitete sie in einem Team mit mehreren Detectives zusammen, daher sollte man annehmen können,
dass wenigstens einer von ihnen eins und eins zusammenzählte und erkannte, dass An auf ihr Aussehen nur an den Tagen achtete, an denen sie mit Martin Reed redete. Andererseits war der Gedanke, dass sie sich wirklich in jemanden verlieben könnte, der demnächst als Mörder verurteilt wurde (der Fall war praktisch ein Elfmeter) ziemlich absurd.
    Hatte sie sich in ihn verliebt? Na ja - vielleicht. Zuerst hatte sie ein paar Versuchsballons gestartet, um zu sehen, wie es sich anfühlte. Sie hatte sich selbst Blumen in die Arbeit geschickt (Mann, das hatte vielleicht Aufsehen erregt) und eines Freitags machte sie früher Feierabend, um sich für eine »Einladung zum Abendessen« herzurichten. Sie erntete Necken und Grinsen und Schulterklopfen. Einem Teil von ihr tat es ein bisschen weh, dass ihre Kollegen Jill so schnell vergessen hatten, aber dann rief Doug, ihr Chef, sie eines Tages in sein Büro und sagte: »Wissen Sie, es freut mich sehr, dass Sie jetzt ein neues Leben anfangen. Jill hätte gewollt, dass Sie glücklich sind.«
    An waren die Tränen in die Augen gestiegen.
    »Und«, sagte Doug ein wenig spöttisch. »Wie heißt die glückliche Dame?«
    »Mary«, antwortete sie und strich sich über den Nacken, wie Jill es getan hätte. »Sie heißt Mary.«

Martins tödliche Injektion oder Sei Stahl mein Herz

    Martin saß an einem Plastiktisch im Besucherraum und schaute zu, wie seine Mutter nach Schmuggelware durchsucht wurde. Sie plapperte unaufhörlich, während Hände sie abtasteten und der Detektor über ihren Körper geführt wurde. Offensichtlich sagte sie etwas Lustiges, denn alle Wachen lachten. Evelyn Reed war eine der beliebtesten Besucherinnern im Gefängnis. Nein, eine der beliebtesten Mütter im ganzen Land. Sie war bei jeder Talkshow gewesen und auf dem Titelblatt jeder Zeitung im Land. Sie war eine selbst gemachte Berühmtheit, ein Bühnen- und Fernseh-Star. Sogar die Freiwilligen Pflegehelferinnen hatten sie angefleht, doch wieder zu ihnen zu kommen.
    Es wurde still in dem fast vollbesetzten Besuchersaal, als Evie auf Martin zuging. Einige Frauen hoben die Fäuste zum Zeichen ihrer Solidarität. Andere starrten sie nur neugierig an, und wieder
andere nutzten die Ablenkung, um Drogen weiterzugeben, die sie in verschiedensten Körperöffnungen erfolgreich versteckt hatten.
    »Martin«, rief sie und winkte, als könnte er sie nicht sehen. Sie ging in letzter Zeit anders als früher, viel schwunghafter. Sie hatte angefangen, mit einem persönlichen Fitness-Trainer zu arbeiten, nachdem sie sich selbst bei Oprah gesehen hatte (»Warum hast du mir nicht gesagt, dass ich zugenommen habe?«), und dank des neuen Trainingsprogramms und ihres persönlichen Kochs hatte sie es geschafft, fast fünfzehn Kilo abzunehmen. Gesichtslifting und Botox hatten das
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