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Unvermeidlich

Unvermeidlich

Titel: Unvermeidlich
Autoren: Melanie Hinz
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unbedingt vermeiden, denn der Ton, der dann aus meinem Mund kommt, ist für mich nicht kontrollierbar.
    Wider besseren Wissens nehme ich das Eis von seinem Löffel und versuche, nicht daran zu denken, dass er vorhin zwischen seinen Lippen war. Nicht für eine Millisekunde wendet er den Blick von mir ab. Seine blauen Augen sind mir vertraut, aber was ich jetzt in ihnen lese, ist neu. Zumindest glaube ich das, denn bislang hat er es mir nie gezeigt. Kann es wirklich sein? Will er mich genauso sehr, wie ich ihn?
    Oh Gott! Das macht die ganze Sache nur noch schlimmer.
    Immer noch mit einer Löffelportion Eis auf der Zunge möchte ich mir einen kleinen Klecks aus dem Mundwinkel wischen, doch er kommt mir zuvor und hält mein Handgelenk fest, um es selbst abzuwischen. Mit dem Blick auf meine Lippen leckt er sich den Daumen ab.
    „Was tust du da?“, flüstere ich. Er ist so nah, dass ich seinen Atem schmecken kann. Ich will ihn küssen, aber wir dürfen das nicht.
    „Mir ein Ticket in die Hölle lösen.“ Offenbar ist er anderer Ansicht.
    Ich schließe die Augen, denn was immer jetzt passiert, kann und will ich nicht mehr stoppen.
    Aus Alex‘ Hosentasche dringt plötzlich ein penetranter Klingelton und lässt ihn sofort zwei Schritte rückwärts gehen.
    „Fuck!“, flucht er und dreht sich von mir weg. Nur kurz schaut er auf das Display und verschwindet dann mit dem Telefon auf den Balkon, wo er sogar die Tür hinter sich zuzieht. Ich habe trotzdem gesehen, welcher Name da aufgeleuchtet ist.
    Steffen.
    Ich brauche einen Moment, bevor ich mich wieder bewegen kann. Etwas desorientiert werfe ich den Eisbecher mit unseren Löffeln ins Spülbecken, obwohl er noch fast voll ist. Aus dem Augenwinkel sehe ich Alex wild gestikulierend telefonieren, doch ich darf ihn jetzt nicht direkt anschauen, ansonsten breche ich in Tränen aus.
    Ich muss mich abregen und verschwinde dazu im Badezimmer. Vor dem Waschbecken lasse ich mir kaltes Wasser über die Handgelenke laufen. Mein Puls rast und ich traue mich gar nicht, mein Spiegelbild zu betrachten. Ich sollte dringend meine Atmung unter Kontrolle bringen, denn sonst hyperventiliere ich gleich.
    Mit ein paar ruhigen Atemzügen tief in den Bauch schaffe ich es, mich etwas zu beruhigen. Doch das Schlimmste steht mir noch bevor. Ich muss da jetzt wieder raus.
    „Ela?“
    Noch schlimmer, Alex wartet schon vor der Badezimmertür auf mich.
    „Einen Moment. Ich bin gleich da.“
    Ein wenig kaltes Wasser für meine erhitzten Wangen und dann bin ich bereit, mich ihm zu stellen. Oder auch nicht.
    Mit zitternden Fingern öffne ich die Tür und versuche mich an einem Lächeln, obwohl ich keine Ahnung habe, wie ich mit der Situation umgehen soll, die eigentlich gar keine ist.
    Alex lächelt mich gequält an und die Gründe sind in diesem Moment vielfältig.
    „Was wollte er?“, frage ich und lehne mich an den Türrahmen. Zum Glück gibt es ein Thema, mit dem wir von unserem Beinahe-Kuss ablenken können.
    „Das Übliche. Ein paar leere Entschuldigungen loswerden, um dann nach Geld zu betteln. Er wohnt im Augenblick mal wieder bei seiner Ex. Oder was auch immer sie gerade ist.“
    Ex oder Freundin, auf jeden Fall ein grundnaives 22-jähriges Mädel mit drei Kindern von unterschiedlichen Männern, bei der er sich durchschnorrt. Ich bin mir nie sicher, ob ich sie auslachen oder bemitleiden soll.
    „Du gibst ihm doch kein Geld?“
    „Ich bin nicht dumm, Ela. Ich hab meine Lektion vor langer Zeit gelernt.“
    Es ist mir unbegreiflich, wie die beiden Brüder sich in so unterschiedliche Richtungen entwickeln konnten. Ihre Eltern sind bei einem Autounfall gestorben, da war Steffen bereits 19. Ich weiß, dass Alex sich teilweise für Steffens Verhalten verantwortlich fühlt, obwohl das absurd ist. Steffen war immer schon schwierig und völlig anders als Alex. Im Gegensatz zu seinem großen Bruder, der sich schnellstmöglich berappelt und sein Leben geregelt hat, hat Steffen sein Erbe genommen und es innerhalb weniger Wochen auf den Kopf gehauen. Ob es daran liegt, dass Steffen adoptiert ist, kann man nur vermuten.
    Als ich nichts weiter sage und hinter ihm aus dem Fenster schaue, will er meine Hände nehmen, doch ich ziehe sie reflexartig zurück, obwohl das gar nicht meine Absicht war.
    „Es tut mir leid, Kleine.“
    „Ich hasse es, wenn du mich so nennst. Ich bin nicht mehr das kleine Mädchen, was bewundernd zu deinem verantwortungslosen Bruder aufgeschaut hat.“
    „Ich weiß, Ela. Das ist
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