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Untreu

Titel: Untreu
Autoren: Christa v Bernuth
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ihre Familienverhältnisse.«
    Es war elf Uhr vormittags, ein kalter, verregneter, langweiliger Herbsttag. In der Kantine würde es heute Spaghetti Carbonara geben. Eine Portion hatte mindestens tausend Kalorien. Dazu kamen die zwei Buttersemmeln, die er sich zum Frühstück genehmigt hatte. Mindestens siebenhundert Kalorien. Tausendsiebenhundert Kalorien.
    »Also gut«, hörte sich Marek zu seiner Überraschung sagen. »Wir schaun mal, was wir tun können.«
    Es war einer dieser Tage, an denen sich zum ersten Mal der Winter meldet. Der Himmel sah aus wie weiß beschichtet, Gras und Bäume wie erstarrt. Kein Windhauch. Du hast deinen kondensierenden Atem in die kalte Luft geblasen und dann gelacht und dir eine Zigarette angezündet. Wenn du rauchst, hältst du die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger und nimmst mit zusammengepressten Lippen drei, vier tiefe Lungenzüge hintereinander. Mit angewidertem Gesichtsausdruck, als sei Rauchen Medizin für dich - notwendig und unangenehm.
    Danach hast du den Arm um mich gelegt und wieder gelacht. Ohne Grund, einfach nur, weil wir zusammen waren und Zeit hatten. Du musst dich auch erinnern, bitte. Es war der elfte Oktober. 11.10.01-111001. Ich wende diese Kombination im Kopf hin und her, auf der Suche nach seiner verstohlenen Bedeutung. Ein Zahlenrätsel, ein Binärcode, der dazu dient, meine Festplatte neu zu programmieren. Ja-ja-ja-nein-nein-ja.
    Was mich betrifft: ja.
    Der elfte Oktober war ein Freitag. Wir haben uns getroffen, und du hast mich auf diese Weise angeschaut, mit einem Blick, der gleichzeitig stark und schwach, leidenschaftlich und ängstlich, selbstbewusst und demütig war. Am elften Oktober hast du mich zum ersten Mal gefragt, ob ich deine Wohnung sehen will. Als wolltest du dich entschuldigen, hast du gesagt:
Ein Loch
,
aber besser als Knast.
    Ich schließe die Augen und habe das Timbre deiner Stimme im Ohr. Heiser, sexy. Wenn ich allein bin, lege ich mich manchmal aufs Bett, lege die Hand zwischen die Beine. Ich schwöre dir, ich kann kommen, nur indem ich mir deine Stimme vorstelle, wie sie mich treibt und drängt...
    Du hast mir deine Wohnung gezeigt. Sie befindet sich in einem riesigen Apartmentblock. Pyramidenförmig, aus grauem Sichtbeton, mit Balkons, die aus der Ferne aussehen wie Schießscharten. Magere Männer liefen an uns vorbei, als wir zum Lift gingen, Jungs mit erloschenen Augen lungerten im Hausflur herum. Sie starrten mich an, unverhohlen und gleichzeitig interesselos, als bräuchte ihnen niemand zu erzählen, was jemand wie ich hier zu suchen hatte. Der Lift war alt und eng, die Linolwände waren voller trostlos schwarzer Graffitis in allen Sprachen der Welt. Es stank nach Rauch und Pisse. Ich schaute nach oben und unvermutet mir selber in die Augen. Vielleicht befand sich eine Kamera hinter der verspiegelten Decke - ein Gedanke, der mich erleichtert hat. Du weißt ja, ich bin ein Feigling, auch wenn ich mich anders gebe (du weißt so viel von mir, dass es mir manchmal unheimlich ist, und trotzdem bereue ich nicht, all das von mir preisgegeben zu haben).
    Für mich war es ein Abenteuer, vielleicht das erste Abenteuer meines Lebens - nein, das erste nach zu vielen Jahren. Ich war glücklich und ängstlich. Für jemanden wie dich ist das schwer zu verstehen. Du kennst nicht die Fantasien, die aus Langeweile und Mangel an Erfahrung entstehen. Du hast Erfahrungen im Überfluss, mehr als dir lieb sind, du brauchst dir nichts, gar nichts vorzustellen, es ist alles schon passiert - so oder schlimmer.
    Du wohnst im achten Stock. Dein Apartment besteht aus einem Zimmer mit Kochnische plus einem winzigen, fensterlosen, braungelb gekachelten Bad mit der Dusche direkt neben der Toilette. Apartment 810 - eine weitere Chiffre meiner Sehnsucht. Der Teppich war vielleicht einmal himmelblau und ist jetzt voller verblichener Flecken, deren Ursprung ich mir nicht vorstellen mag. Dein Bett steht neben der Balkontür unter dem einzigen Fenster und ist so schmal, dass wir kaum zu zweit darauf Platz haben. Die Matratze ist steinhart. Das Zimmer dunkel und klamm, selbst wenn die Sonne scheint. Der schwere Balkon davor raubt zusätzlich Licht.
Nordlage
, hast du gesagt.
Hier kommt nie ein Sonnenstrahl rein
.
    Ich konzentrierte meine Gefühle auf dich. Ich wollte alles andere ausblenden, das Schäbige, Triste deiner Umgebung und auch deine Traurigkeit, die du geschickt mit Humor und Dreistigkeit überspielst und die ich trotzdem immer spüre. Ich möchte dich
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