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Untreu

Titel: Untreu
Autoren: Christa v Bernuth
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glücklicher machen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es mir irgendwann gelingen könnte, dann wieder sehe ich die Nutzlosigkeit meiner Bemühungen, die tiefe Verständnislosigkeit, die sich wie eine Kluft zwischen uns auftut, selbst in intimsten Momenten.
    Ich möchte so sein, wie du mich willst und brauchst. Das hast du einmal so ähnlich zu mir gesagt, und genauso fühle ich. Zumindest in dieser Hinsicht passen wir zusammen. Vielleicht ist das ein Anfang. Vielleicht können wir darauf aufbauen - eines Tages.
    In deiner Wohnung ist es zum ersten Mal passiert. Anfangs weniger aus Lust als aus Verlegenheit. Du wolltest mir etwas anbieten, aber du hattest nur Bier und Wodka, und ich mag beides nicht. Deine Wohnung drohte alles zu ersticken, was zwischen uns gewachsen war. Der erbärmliche Zustand, die Unordnung eines allein lebenden Mannes - das bisschen Geschirr, das du hattest, türmte sich in der Spüle, Schuhe und Socken lagen auf dem Boden herum, der hässliche braune Kleiderschrank stand offen - alles drückte auf meine und deine Stimmung, aber ich war entschlossen, es nicht zuzulassen.
    Wir standen voreinander und sahen uns an. Schließlich entspannte sich dein Gesicht, und ich konnte wieder in deinen Augen lesen, die im Halbdunkel des Zimmers riesengroß, sehr jung und gleichzeitig uralt wirkten. Acht Stockwerke unter uns, in einer anderen Welt, dröhnte der Spätnachmittagsverkehr, fuhren erschöpfte Väter und Mütter zu ihren fordernden, aufreibenden Familien. Du wolltest mich, du konntest es kaum erwarten, das war es, was ich hoffte. Trotzdem habe ich gewartet. Es sollte sich natürlich entwickeln. Ich wollte nichts erzwingen, nicht von dir, nicht von mir. Gleichzeitig wusste ich, dass es jetzt passieren musste. Oder nie. Wir hatten diese eine Chance.
    Plötzlich hast du dich aufs Bett gesetzt. Es gab nichts, was du mir anbieten konntest, also dachtest du, du müsstest dich selbst anbieten, wie ein guter Gastgeber. Dieser Geistesblitz war wie eine Heimsuchung, er drückte all meine bislang zurückgedrängten Befürchtungen aus - dass du mich eben nicht wirklich wolltest, dass du nur aus einer obskuren männlichen Höflichkeit heraus so tatest, um meine Weiblichkeit nicht zu brüskieren.
    Ich setzte mich neben dich. Umfassende Ratlosigkeit und Schwäche. Es gab nichts mehr, was ich tun konnte, alles lag in deiner Hand. Und in diesem Moment hast du deine Sicherheit zurückgewonnen. Du hast ganz leise gelacht (vor deiner Wohnungstür fing einer an, in einer kehligen fremden Sprache, vielleicht war es arabisch, herumzuschreien, ein anderer antwortete mit schluchzender, sich überschlagender Stimme, zwei Türen knallten nacheinander, Schritte kamen vorbei und entfernten sich), du hast mein Gesicht in deine Hände genommen, und ich spürte zum ersten Mal deine Lippen (eine Frau unterhielt sich lautstark mit einer anderen, offenbar über den Flur hinweg, beide lachten), deine Zunge fuhr über meine Zähne, erkundete meinen Mund.
    Deine Lippen, deine Zunge waren warm, fest und weich. Sie gaben mir mein Selbstvertrauen zurück. Ich war wieder jemand. In deinen Armen war ich ein Körper, der existierte, eine Person, die jemandem etwas bedeutete. Wir fanden unsere eigene Sprache, jenseits aller Missverständnisse. Es war sensationell, deine Haut zu spüren, deine kräftigen Muskeln, deine Rippen. Hart und mager. Gierig und sensibel. Ich hörte mein Stöhnen und deinen schweren Atem, und es war wie eine machtvolle Musik, die alles auslöschte, was außerhalb des Universums unserer Körper existierte. Es gab in diesen Momenten nichts mehr, das uns hätte auseinander bringen können. Anfangs hast du immer wieder den Kopf gehoben und mich forschend angesehen, so als wolltest du dich vergewissern, dass alles richtig und in Ordnung war, dass ich zufrieden war. Aber irgendwann waren deine Augen so blind wie meine, und da glaubte ich endlich, dass wir eine Chance hatten.
     
    Sie standen frierend vor dem niedrigen schmiedeeisernen Gartentor: Marek Winter, Erika Weingarten und ein Polizeiobermeister namens Bechtel, der einen Schäferhund an der Leine hielt. Es regnete immer noch, und der Wind hatte wieder aufgefrischt. Die Tropfen fegten ihnen fast waagerecht ins Gesicht. Marek hielt mit beiden Händen seinen wenig nutzbringenden Schirm über sich. »Ich werde jetzt klingeln«, sagte er missmutig, als sei das eine Drohung. Der Wind schien ihm die Worte vom Mund wegzureißen und sie irgendwohin zu tragen, wo sie niemand
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