Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Untreu

Titel: Untreu
Autoren: Christa v Bernuth
Vom Netzwerk:
hören konnte.
    Erika Weingarten zuckte mit den Schultern. In ihrem grauen Mantel sah sie noch unförmiger aus als vorhin in seinem Büro. »Tun Sie's doch. Sie werden schon sehen, da ist kein Mensch.«
    Und Marek sah - spürte - zu seinem Ärger, dass sie Recht hatte. Das Haus mit seiner roten Backsteinfassade und den blendend weiß gestrichenen Fenster- und Türrahmen wirkte tatsächlich vollkommen verwaist. Schweres nasses Laub bedeckte den größten Teil des Rasens, der so aussah, als sei er schon lange nicht mehr gemäht worden. Unter dem Apfelbaum neben dem Gartentor lagen faulende Früchte im hohen Gras. Im Moment lebte hier niemand, so viel war sicher.
    »Wo wohnen Sie?«, fragte Marek Frau Weingarten. Sie deutete mit ihrem rundlichen Kinn nach rechts, auf eine dichte, korrekt geschnittene Thujahecke, die den Blick auf das dahinter liegende Grundstück komplett abschirmte.
    »Vielleicht sind sie ausgezogen«, sagte Marek
    »Sind sie nicht.«
    »Das können Sie ja gar nicht wissen.«
    »Hab ich doch gesagt: Ich war im Garten. Mehrmals. Ich hab ins Wohnzimmer geschaut. Die Möbel stehen da, wie immer. Die sind nicht mal mit Schutzplane abgedeckt.«
    »Haben Sie einen Zweitschlüssel?«
    »Das ist ja das. Normalerweise haben mir die Belolaveks immer einen Schlüssel gegeben, zum Blumengießen und Nachschauen und so. Aber diesmal nicht.«
    »Vielleicht waren Sie nicht da. Vielleicht hat jemand anders den Schlüssel. Was ist zum Beispiel mit den Nachbarn da drüben?«
    »Die Meyers, die Scherghubers, die Steins - die hab ich alle schon gefragt. Alle. Von denen weiß keiner was. Ich hab eine Tochter im Alter von Maria Belolavek. Die hat mir erzählt, dass die Maria nicht in die Schule gekommen ist. Dabei sind die Sommerferien schon vorbei.«
    Das alles hatte sie ihm bereits im Büro erzählt. Aber jetzt, wo er vor diesem abweisend und fremd wirkenden Haus stand, erschien es ihm viel überzeugender. Marek drückte auf den Knopf unter dem Metallschild, auf dem mit verschnörkelter Schreibschrift der Name Belolavek eingeritzt war. Ein durch die Mauern gedämpfter, wohlklingender Glockenton war zu hören. Erwartungsgemäß passierte nichts. Er drückte ein zweites Mal und ärgerte sich dann über sich selbst. Er hätte das den Bechtel machen lassen sollen. Jetzt war er selbst der Depp, der sinnlos an einer Tür klingelte, hinter der sich niemand befand.
    Es gab einerseits keine legale Möglichkeit, sich auf dieses Grundstück zu begeben. Niemand vermisste die Bewohner, außer einer Nachbarin. Andererseits konnte Marek eine gewisse Neugier nicht verhehlen. Nun waren sie schon mal hier. Man konnte ja zumindest einen kurzen Blick hineinwerfen. Das war nicht
direkt
unbefugtes Eindringen in Privatgelände. Und als hätte er diesen Gedanken laut geäußert, hatte Frau Weingarten bereits über das Tor gelangt und den elektrischen Öffner von innen betätigt. Ein Surren ertönte, Frau Weingarten drückte ihren schweren Unterleib gegen das Tor, und schon marschierten sie im Gänsemarsch auf den Terrakottaplatten am Haus vorbei - Frau Weingarten als massige Vorhut, dann Marek, dann Bechtel mit seinem mittlerweile tropfnassen Hund, der sich eng an seine Beine drückte. Marek dachte noch kurz an seine Straßenschuhe, die nach diesem Abstecher wahrscheinlich durchweicht sein würden, aber dann sagte er sich,
egal
. Es war wenigstens eine Unterbrechung seines durchaus nicht kurzweiligen Alltags.
    Auf der anderen, der Straße abgewandten Seite wirkte der Garten noch verwilderter und verlassener. Zwei abgebrochene, morsche Äste lagen mitten auf dem Rasen wie Sinnbilder für Tod und Verfall. Die angelegten Blumenbeete waren von Unkraut überwuchert. Auf der überdachten Terrasse waren zwei Stühle umgefallen, wahrscheinlich wegen des Sturms vergangene Nacht. Die Fliesen der Terrasse waren übersät mit Blättern und Erde.
    »Karin hat ihren Garten geliebt«, sagte Erika Weingarten. »Manchmal war sie ganze Nachmittage draußen, immer am Jäten und Gießen und Umgraben. Immer am Räumen und Gestalten. Der Garten war ihr Schmuckstück. Und jetzt schauen Sie sich mal an, wie das hier aussieht!«
    Aber Marek hatte sich bereits dem Wohnzimmerfenster zugewandt. Die Rollos waren oben, die Vorhänge aufgezogen. Auf dem Fensterbrett standen einige Terrakottatöpfe mit offensichtlich vertrockneten Pflanzen. Der Raum dahinter war quadratisch und spärlich möbliert - aber eben eindeutig möbliert. Man sah: Da fehlte nichts. Der Raum war komplett
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher