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Untitled

Untitled

Titel: Untitled
Autoren: Unknown Author
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Billigung oder Dankbarkeit, sondern lediglich einen Ausdruck schieren Entsetzens.
     Außerstande, die Aufmerksamkeit seiner Frau auf die Kassette in seiner Hand zu lenken oder sie auch nur loszulassen, beobachtete ihr hilfloser Mann, wie Mrs. Ransome rasch die Fotos aufsammelte, und irgend etwas tief in seinem Hinterkopf registrierte, wie wenig Interesse oder Überraschung diese traurige alte Schweinerei hervorrief. Zuletzt (man hörte bereits das Martinshorn des Krankenwagens, der am Park entlangfuhr) kniete sie sich neben ihn und nahm ihm die Kassette aus den wächsernen Fingern und steckte sie ohne viel Aufhebens in ihre Schürzentasche. Sie hielt eine Sekunde lang seine Hand (die immer noch so gekrümmt war, als würde sie noch die anstößige Kassette umklammern) und dachte, daß der Ausdruck in seinen Augen jetzt vielleicht nicht mehr Entsetzen war, sondern Scham; deshalb lächelte sie, drückte seine Hand und sagte: »Es ist nicht wichtig.« In diesem Augenblick klingelten die Männer vom Krankenwagen.

    Mr. Ransome ist in dieser Erzählung nicht gut weggekommen; scheinbar ungerührt von den Ereignissen, hat er sich, im Gegensatz zu seiner Frau, weder verändert noch an Format gewonnen. Hätte er einen Hund gehabt, stünde er vielleicht in besserem Lichte da, doch so praktisch Naseby Mansions auch am Park gelegen ist, in einer Wohnung eingesperrt zu sein, ist doch kein Leben für einen Hund. Ein Hobby hätte ihm geholfen, es hätte allerdings ein anderes Hobby sein müssen als Mozart, denn die Suche nach der perfekten Aufführung war lediglich dazu angetan, Mr. Ransome in seiner Pedanterie und allgemein fehlenden Wärme zu bestärken. Nein, um zu lernen, die Dinge zu nehmen, wie sie kommen, wäre er bei den weniger aufgeräumten Künsten besser aufgehoben gewesen, der Fotografie, zum Beispiel, oder der Aquarellmalerei; und auch wenn es den Anschein hat, als hätte nur Mrs. Ransome den Verlust von Baby Donald gefühlt (und auch wenn Mr. Ransome als Vater kein Zuckerschlecken gewesen wäre), hätte ein Sohn seine Kanten vielleicht ein wenig abgeschliffen und das Leben unordentlicher gemacht – so waren Sauberkeit und Ordnung das einzige, was ihm in seinen mittleren Jahren noch etwas bedeutete. Wenn man es genau betrachtet, wird er hier dafür verurteilt, daß er nicht aus seinem Schneckenhaus herausgekommen ist, und wäre da ein Kind gewesen, hätte es vielleicht gar kein Schneckenhaus gegeben.
     Jetzt liegt er stumm und bewegungslos auf der Intensivstation, und der Ausdruck ›Schneckenhaus ‹ scheint es ziemlich gut zu beschreiben. Irgendwo hört er die Stimme seiner Frau, nah, aber gleichzeitig auch fern und mit einem kleinen Echo, als wäre sein Ohr ein Schneckenhaus und er ein Lebewesen darin. Die Krankenschwestern haben Mrs. Ransome erklärt, daß er mit Sicherheit hören kann, was sie sagt, und da sie glaubt, daß es womöglich nicht der Schlag ist, den er vielleicht nicht überleben wird, sondern eher die Scham und die Demütigung, die damit einhergingen, konzentriert sich Mrs. Ransome darauf, ersteres aufzuklären. »Wenn wir das mit dem Sex besser hinkriegen«, denkt sie, »werden wir diesen Schlaganfall vielleicht einmal als Segen betrachten.«
     Und so, während sie sich ein bißchen albern vorkommt, weil die Unterhaltung notwendigerweise vollkommen einseitig ist, beginnt Mrs. Ransome, sich mit ihrem bewegungslosen Mann zu unterhalten, oder vielmehr, da auf der Station noch andere Patienten liegen, ihm ins Ohr zu flüstern. Mr. Ransome sieht aus dem linken Augenwinkel nur die leicht behaarte, gepuderte Kurve ihrer wohlmeinenden Wange.
     Sie erzählt ihm, daß sie seit Jahren von seiner ›Albernheit‹ wie sie es nennt, wisse und daß es da nichts gebe, weswegen man sich schämen müßte, denn schließlich sei es ja nur Sex. In seinem Schneckenhaus versucht Mr. Ransome herauszufinden, was ›sich schämen‹ ist, und sogar über ›Gefühl‹ ist er sich nicht mehr ganz sicher, von ›Sex‹ gar nicht zu reden; die Wörter scheinen sich von ihren Bedeutungen gelöst zu haben. Dieses Vernünftigsein gegenüber Mr. Ransomes Albernheit bringt Mrs. Ransome nahezu an die Grenzen. Es gibt keine. Sie stellt es etwas lauter, aber nicht laut, sagen wir, mezzo forte. Mr. Ransome, der das Wort ›Mozart‹ gehört hat, ohne zu wissen, ob es eine Sache ist oder ein Mensch oder vielleicht ein Sattelschlepper, krümmt sich bewegungslos unter einem Sperrfeuer von Geräuschen, die für ihn völlig
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