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Unterm Messer

Unterm Messer

Titel: Unterm Messer
Autoren: Eva Rossmann
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Oskar sagt, er sei noch in der Kanzlei und werde dann mit einem Kollegen essen gehen.
    „Mit einem Kollegen?“, frage ich nach.
    Ich sehe Oskar grinsen. „Ja, einem Kollegen. Männliches Geschlecht. Sonst wäre es eine Kollegin. Habe ich längst von dir gelernt, auf diese sprachlichen Feinheiten zu achten.“
    Ich seufze, ich gäbe viel darum, jetzt mit meinem Oskar essen zu gehen. Oder ihn hier zu haben. Zu zweit macht Lästern viel mehr Spaß.
    „Lass dir ja nichts wegschnipseln“, sagt er. „Ich mag dich, so wie du bist!“
    Wenig später betrachte ich mich nackt im Spiegel. Die Oberschenkel sind zu dick. Der Bauch ist nicht mehr ganz straff. Der Busen ist okay. Der Speck an den Hüften sollte dringend weg, ich bin aus dem Babyalter schon siebenundvierzig Jahre heraus. Was heißt: „Ich mag dich, so wie du bist“? Dass es zwar andere gibt, die viel attraktiver sind, aber er, Oskar, einfach großzügig darüber hinwegsieht? Es heißt, er nimmt wahr, dass ich nicht mehr so top in Schuss bin. Es heißt ... Stopp. Er mag mich. Das heißt es. Und ich sollte nicht herumfantasieren, sondern mich dringend anziehen und in den Festsaal eilen.
    Meine Überlegung, ob es in so einer Beauty-Oase auch Alkohol gebe, hat sich gleich beim Eingang erledigt. Servierpersonal bietet Champagner, Aperol Sprizz, Fruchtsaft aus der Gegend und Wasser an. Ich entscheide mich für Champagner, halte mich am Glas fest, gehe weiter und sehe mich um. Die Frauen sind hier zwar in der Überzahl, aber es sind auch etliche Männer da. Begleiter? Penisverlängerungen mache er keine, hat mir Professor Grünwald bei unserem Begrüßungsgespräch heute Mittag erzählt und dabei dreingesehen, als rede er vom Normalsten der Welt. Ich habe versucht, ein pubertäres Kichern zu unterdrücken. Ich weiß nicht, warum ich bei so etwas zum Kichern neige. Verlegenheit? Glaub ich eigentlich nicht. Und: Genau betrachtet ist die Vorstellung, dass ein Mann glaubt einen größeren Pimmel zu brauchen, ja auch zum Lachen.
    Im Festsaal stehen runde Tische, jeder für sechs Personen. Ein hübscher junger Mann in schwarzem Anzug - er kann nicht älter als achtzehn sein — fordert mich auf, meine Platznummer zu ziehen. Der Professor handhabe das so, damit man neue Leute kennenlerne. Tisch sieben, Platz vier. Ich hasse so etwas für gewöhnlich, aber hier kenne ich ohnehin niemanden, also ist es egal. Oder ... Ich sehe eine Frau um die sechzig Vorbeigehen, offenbar sucht auch sie den ihr zugewiesenen Stuhl. Die kenne ich doch. Das ist eine Schauspielerin ... Wie heißt sie bloß gleich ... Dass ich so ein mieses Personengedächtnis haben muss ... Und dort. Den kenne ich auch. Das ist Opernverbunddirektor Hochner. Er ist ganz schön voluminös. Fettabsaugung bei Männern ... soll ja immer häufiger werden. Sein Kinn ist gerötet. Ich habe ihn erst vor Kurzem interviewt. Da hat sein Hals noch anders ausgesehen, ist beinahe nahtlos in das Gesicht übergegangen. Kann es wirklich sein, dass er sich das Doppelkinn hat verkleinern lassen? Wird ihm kaum gefallen, mich hier zu sehen. Ich werde angerempelt, drehe mich um und sehe einer Frau mit seltsam starren Zügen ins Gesicht. Vielleicht sind irgendwelche Nerven bei irgendeiner Straffung beleidigt worden. Sie entschuldigt sich und ich schaue, wo mein Opernheld geblieben ist. Ich kann ihn nicht mehr entdecken. Vielleicht hat er mich ja auch gesehen und ist abgetaucht.
    Meine Tischnachbarn sind eine junge Frau mit einem gewaltigen Pflaster auf der Nase, ein Mann, der mir sofort versichert, der Steuerberater von Grünwald zu sein und ganz gerne bei diesen Dinners „vorbeizuschauen“, zwei reifere Damen, die aussehen wie zwei reifere Damen (werden sie erst operiert oder sind es Achtzigjährige, denen Professor Grünwald den Körper von Fünfundsechzigjährigen verpasst hat? Und: Was haben sie dadurch gewonnen?), und ein Mann um die fünfzig, dessen Gesicht wirkt wie nach einem verlorenen Boxkampf. Wir stellen uns vor und die junge Frau flüstert mir zu, dass sie zum 20. Geburtstag eine „urschöne“ Nase bekommen habe und „total happy“ sei.
    Professor Grünwald hat seinen Platz eindeutig nicht per Los gezogen, er sitzt am Tisch auf der Stirnseite des Saales, mit bestem Blick über seine Schäfchen — oder sollte ich „goldene Kühe“ sagen? Sei nicht so missgünstig, Mira. Er steht auf, schlägt einen Gong und spricht mit raumfüllender Stimme. Eindeutig mikrofonverstärkt. Nur dass man das Mikro nicht sieht. Er
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