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Unterm Messer

Unterm Messer

Titel: Unterm Messer
Autoren: Eva Rossmann
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einen Herzinfarkt“, warne ich sie.
    „Dann ich bin wenigstens nicht in Schönheitsklinik, sondern in richtigem Krankenhaus. Außerdem mein Herz ist gut. Du solltest auch joggen gehen, Mira. — Was ist mit Säure? Hat wer sich an Professor gerächt, weil die Nase nachher mehr schief war als vorher?“
    Ich erzähle ihr kurz von der „Behandlung“, die ich beobachten durfte.
    „Wir putzen auch mit Säure manchmal. Vielleicht sollte ich neben „Sauber! Reinigungsarbeiten aller Art“ und Nachforschung noch dritte Branche überlegen?“
    „Hätte gerade noch gefehlt.“
    „Da läutet anderes Telefon. Vielleicht ist neue Mitarbeiterin und sie kann heute zu Notar fahren. Ist allerdings bester und ältester Kunde. Wahrscheinlich ich sollte selbst. Bis bald.“ Und schon hat sie aufgelegt. Ist so ihre Art.
    Ich schaue über die Landschaft. Die Sonne steht schon ganz flach über den Hügeln, die Schatten werden lang. Welliges Grün, goldgesprenkelt. Kaum vorstellbar, dass hier vor drei Millionen Jahren vierzig Vulkane gleichzeitig aktiv waren. Damals gab es noch keinen Flugverkehr. Und die Flugsaurier, die waren schon ausgestorben. Als dieser isländische Vulkan ausgebrochen ist, war ganz Europa irritiert. Aschewolke, und das mehrere Tage lang. Fand ich irgendwie ganz witzig, dass alle in die Luft geschaut haben, um dort eben keine Flugzeuge zu sehen.
    Von einer der weitläufigen begrünten Terrassen dringt leise Musik herüber. Irgendwas indisch Angehauchtes. Wohl Teil des Atemyogatrainings. Die ,Beauty Oasis‘ war ursprünglich ein Wellnesshotel, sehr schick, und wenn man dem Internet glauben darf, auch ziemlich gut gebucht. Und trotzdem haben die Besitzer schließlich an Grünwald verkauft. Ist das Hotel doch nicht so gut gegangen? Hat Grünwald so viel bezahlt? Wie reich ist er eigentlich? In den Hochglanzprospekten ist nur davon die Rede, dass dieser Platz ideal für sein Konzept des „Wohlbefindens für Geist, Körper und Seele“ sei. Operationen kommen in diesen Broschüren nur ganz am Rande vor, dafür aber mit genauer Preisliste. Selbst einige Nonnen vom nahe gelegenen Kloster hat Grünwald angeheuert. Zwei dieser „Hildegard-Schwestern“ habe ich schon gesehen: dunkelblaues langes Kleid, schwarze Kopfbedeckung mit weißem Rand. Sind sie für die Abteilung „Seele“ zuständig? Warum wohl machen sie bei so etwas mit? Ich werde mit der Oberin reden. Denken die Klosterfrauen wirklich, dass es hier ums „Wohlbefinden der Seele“ geht? Ist es mit dem katholischen Glauben vereinbar, dass an gesunden Körpern herumoperiert wird? Ich sollte Oskar anrufen. Ich sehe auf die Uhr. Die letzten Sonnenstrahlen verschwinden hinter einem der Hügel. Zehn vor sieben. Um halb acht geht das wöchentliche „Professors Dinner“ los. Hat er sich wohl bei einer Kreuzfahrt abgeschaut. Angeblich kommen fast alle Gäste, die momentan in der ,Beauty Oasis‘ sind. Dann treffe ich endlich Frauen, die sich tatsächlich haben operieren lassen. Ob sie mit mir reden wollen? Meine Fotografin darf jedenfalls nicht dabei sein, hat mir das Büro des Professors mitgeteilt. Irgendwie verständlich. Frau zieht sich nicht ein paar Wochen zur Runderneuerung zurück, um dann im Larvenstadium im ,Magazin‘ abgedruckt zu sein. Eigenartig, dass mir bisher keine von ihnen begegnet ist. Aber ich bin ja auch erst einige Stunden hier. Die meisten bleiben tagsüber wohl lieber auf dem Zimmer. Langweilig wird mir heute Abend jedenfalls nicht. Ich kann das Vorher-oder-nachher-Spiel spielen. Wer ist schon unter dem Messer gewesen, wer kommt erst dran? Wer hat sich was machen lassen? - Hm. Und was soll ich schreiben? Da bin ich mir noch gar nicht sicher. Wer bin ich eigentlich, um den Wunsch anderer nach einem besseren Aussehen zu bespötteln? Oder dem, was sie eben dafür halten? Warum sollte der Professor damit kein Geld verdienen dürfen? Nur weil ich selber viel zu feige wäre und mich sogar vor einer Spritze fürchte? Andererseits: Was ist das für eine Welt, in der man sich freiwillig unters Messer legt, nur um irgendeinem Schönheitsideal zu entsprechen? — Keinen Zeigefinger erheben, Mira. Das steht dir nicht. Und dem ,Magazin‘ auch nicht. Es läutet. Oskar. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil er meinem Anruf zuvorgekommen ist. Ja, es gehe mir gut. Der Professor sehe aus, wie wenn er sich selbst ein wenig zu oft operiert hätte. Keine Falte, auffallend gerade Nase, braun gebrannt, zu blaue Augen, unmöglich, sein Alter zu schätzen.
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