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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum
Autoren: Horst Bosetzky
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Kolonie gewesen sei. Er kam aus dem Dualadorf Akwastadt, das am Flusse Wuri lag, und hatte einen Ururgroßvater, der dem Gouverneur Jesko von Puttkamer als Leibgardist gedient hatte. Mohamadou behauptete, von daher seine ganz besondere innere Beziehung zu Deutschland geerbt zu haben, in Wahrheit aber war er hierher   gekommen, weil ihn kein französischer Fußballverein unter Vertrag genommen hatte. Was er besser konnte: Fußball spielen oder kochen, war bei seinen Freunden heiß umstritten, jedenfalls hatte man ihn bei Tasmania Gropiusstadt längst ausgemustert, während er bei Wiederschein nach wie vor hoch im Kurs stand. Wiederschein schickte ihn mehrmals am Abend nach vorn ins Restaurant, wo er mit den Leuten plaudern sollte, um unter Beweis zu stellen, wie international und multikulturell das ›à la world-carte‹ angelegt war.
    Was die Bedienung anging, hatte Wiederschein von Anfang an großen Wert darauf gelegt, nur nicht für ein x-beliebiges deutsches Lokal gehalten zu werden, und Matti und Bharati angeheuert.
    Matti Kemijärvi war festangestellter Kellner im ›à la world-carte‹, kam aus dem Süden Finnlands und sprach außer fließend Schwedisch auch hinreichend gut Norwegisch und Dänisch, konnte also die skandinavischen Gäste abdecken. Außerdem sollte er in Wiederscheins Planung alle jene Frohnauer anlocken, die sich zur geistigen Elite Deutschlands zählten und, hörten sie seinen Vornamen, sofort von positiven Assoziationen heimgesucht wurden: ah, Bertolt Brecht – ›Herr Puntila und sein Knecht Matti‹. Und zudem war es immer sehr amüsant, wenn er sportlichen Menschen erklärte, wo sie in Frohnau, Hermsdorf oder Glienicke (Nordbahn) eine Minigolfanlage – pienoisgolfkenttää – oder einen Fahrradverleih – polkupyörävuokraamoa – finden konnten. Wer diese Vokabeln mit ihm fünf Minuten lang geübt hatte, bestellte noch ein Bier oder ein Glas Wein und erhöhte damit den Umsatz.
    Bharati gab vor, aus dem indischen Bundesstaat Andhra Pradesh zu stammen und an der FU Berlin Germanistik zu studieren, hieß aber in Wahrheit Denise Siegmann, kam aus dem Zwergenweg in Frohnau und hatte in Halle und Neu-Delhi Indologie studiert, musste aber kellnern, da nirgendwo ein angemessener Arbeitsplatz zu finden war.
    Die beiden guten Geister hinter den Kulissen, Gudrun und Freddie, waren allerdings beide eingeborene Berliner.
    Gudrun Gerber war eine etwas groß geratene Liliputanerin von 51 Jahren, die von sich sagte, sie sei Legasthenikerin, was allerdings etwas übertrieben war, denn schrieb sie auf einen Zettel ›de Moorrieben sind gebutst‹, dann wusste durchaus ein jeder, was gemeint war. Auch das Sprechen fiel ihr schwer, denn sie war Asthmatikerin, was sie aber nicht daran hinderte, mindestens zweimal die Stunde vor die Tür zu treten und zu rauchen. Wie viele mit einem nicht allzu hohen IQ war sie eine Seele von Mensch und wurde von allen gemocht. Ihre drei Kinder hatten alle etwas Ordentliches gelernt, obwohl ihr Erzeuger, ein schlimmer Alkoholiker, erst sehr spät gestorben war. Sie half in der Küche und wirkte, war dort alles erledigt, als Reinemachefrau.
    Freddie war das Faktotum in Villa und Restaurant. Er konnte alles, zumindest behauptete er, alles zu können, was das Kochen, Servieren und Reparieren betraf. Dass er der perfekte Hausmeister, Gärtner, Chauffeur und Bote war, verstand sich von selbst. Er rauchte unaufhörlich und war so dick, dass er im Flugzeug immer zwei nebeneinanderliegende Sitze buchte. Eigentlich hätte er mit seinen 53 Jahren schon zweimal tot sein müssen, schaffte es aber immer noch, ansehnliche Frauen zu beglücken, wobei Wiederschein allerdings lästerte, er würde den Akt nur mit einer Art Verlängerungsrohr vollziehen können. Auch konnten die Mediziner unter den Gästen nicht recht nachvollziehen, wie er das Gestöhne beim Orgasmus ohne letale Atemnot hinter sich brachte. Ihrer Meinung nach hätte er schon längst erstickt sein müssen. Er kam aus der Hobrechtstraße und war zur Rütlischule gegangen, was viele Frohnauer ebenfalls machten, um einmal einen geborenen Neuköllner leibhaftig vor sich zu haben, denn ohne Bodyguard, und wer hatte schon einen, wagten sie sich schon lange nicht mehr in dieses Stadtgebiet.
    Gudrun und Freddie wohnten in der umgebauten Waschküche, einem halb in der Erde versenkten Anbau an der Rückseite der Villa. Zwei separate Zimmer gab es dort, die kleine Küche und das Bad mussten sie sich teilen. Ein Paar waren sie nicht,
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