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Unter Sternenjaegern

Unter Sternenjaegern

Titel: Unter Sternenjaegern
Autoren: Jo Clayton
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schwankend. Nach Jahren strenger Erziehung kannte ihr Körper seine Aufgabe, selbst wenn sich ihre Beine schwach fühlten und ihre Hände bebten, als sie sie das Geländer hinunterschob. Momentan war der Hof leer, ebenso die Veranda hinter ihr. Die Stille war kühl auf ihrer Haut. Beim letzten Schritt stolperte sie, fing sich jedoch, indem sie sich verzweifelt am Geländer festhielt. Einen Augenblick lang blieb sie zitternd stehen, die Augen geschlossen, ergriffen von einer Flut des Entsetzens. Ein Fehler an ihr, und Alter Mann Kobe würde sie wie einen zerbrochenen Topf wegwerfen. Er duldete keinen Makel an seiner Beute. Sie atmete tief ein und versuchte, das Zittern zu dämpfen, das sie auf dieser Stufe gefangenhielt. Ihr bevorzugter Status war die Sicherheit ihres Sohnes. Hodarzu, ah, Meme Kalamah, warum mußte er sein wie sein Vater… und ich … ah … ich … ich … ich … Sie blickte über die Schulter zurück auf den schweren Thronsessel, der den Weg zum Hauptportal versperrte. Kobe schaute sie gern an. Er ließ sie neben sich knien, während er in diesem Sessel saß, den Rücke gerade, den Hals gerade, den Kopf stolz erhoben. Ein lebendes Ornament, ein Beweis seines Reichtums und seiner Macht, wenn er seine schwerwiegenden Urteile traf. Kitosime, die Lieblingstochter, Kitosime, die Schöne, Kitosime, die Elegante, der vollkommene Ausdruck der Macht seines Blutes.
    Sie schüttelte sich und trat vorsichtig auf die bemalten Fliesen des Hofes hinunter. Dankbar für die kurze Einsamkeit, ein seltenes Geschenk, ging sie langsam zur Mutter Brunnen in der Mitte des eingefaßten Platzes. Ich kann es nicht ertragen, dachte sie. Ich ertrinke. Ich bin leer. Sie ließ eine Hand auf der Mauerkrone des Brunnens ruhen und neigte den Kopf, um die schweren roten Wolken anzusehen, die auffallend grell vor dem hellen Gelbgrün des Morgenhimmels standen, Überreste der Zwillingsstürme der vergangenen Nacht. Nicht mehr viel Zeit für sie. Bald würde Kobe herauskommen und erwarten, sie wartend vorzufinden.
    Die Fliesen knirschten unter ihren Sandalen, als sie ihr Gewicht neben dem großen Brunnen von einem Fuß auf den anderen verlagerte. Obwohl der Tag bereits heiß war, berührte Kühle ihr Gesicht. „Meme Kalamah”, flüsterte sie. „Schütze meinen Sohn, verberge ihn. Gib mir Kraft auszuhalten, große Mutter.”
    Der Brunnen erwiderte ihr Flüstern, ein leises, flüssiges Murmeln, das sie ruhig werden ließ. „Hilf mir.” Das wiederkehrende Flüstern war sanft und vertrauenerweckend. Sie fühlte, wie die Kühle sie badete, ihre Schwäche ausglättete. Sie wandte sich ab, hielt dann mit einem leisen Ausruf inne, denn irgend etwas hatte ihren Fuß durch das dünne Leder ihrer Sandalensohle hindurch berührt. Sie kniete nieder.
    Zwei kleine Steine drängten sich am Brunnenrand, stumpfe, graue Kiesel mit Löchern wie Augen in der Mitte. „Augensteine”, flüsterte sie. Sie hob sie behutsam auf und legte sie auf ihre hennagefärbte Handfläche. Sie lagen auf ihrer bemalten Haut, kalt und mit Macht ausgestattet, sie nahmen nichts von der Wärme ihres Körpers. Langsam öffnete sie den Beutel, der an einem Ledergurt um ihren Hals hing, und schob die Steine hinein. Mit einem Gefühl furchterregender Vorahnung erfüllt, glitt sie aus dem Hof, wollte rennen, konnte es jedoch nicht. Sie war eine vom Haupthaus, und die vom Haupthaus rannten nicht. Niemals.
    In der Unterkunft waren die verpflichteten Familien eifrig an der Arbeit. Wie ein dunkles Gespenst ging sie durch fröhlichen Lärm, ignorierte ihn und war unfähig, daran teilzuhaben. Im Kreis der Spinner schwatzten und lachten Frauen, neckten eine junge Braut, die mit gekreuzten Beinen vor einem Korb Schafwolle saß, die Finger geschäftig, den Faden zu formen, ihn auf harten Knien zu rollen, ihn auf die Spindeln zu wickeln. Mehrere der Frauen hatten ihre Babys bei sich, die behaglich in den langen Tuchschlaufen schliefen, die sie fest an den Rücken ihrer Mütter banden. Von Zeit zu Zeit verfielen die Frauen in einen Arbeitsgesang, während die Spindeln tanzten und wirbelten.
    Sie wurden still, als sie vorbeikam. Sie konnte fühlen, wie ihre Blicke ihr folgten. Sie wußten, weswegen sie gekommen war. Sie wissen alles, diese Frauen. Sie neidete ihnen ihre Freiheit. Sie konnten sich ohne Zwang bewegen und unterhalten, sie konnten ungeschickte Gesten machen, ohne zu verlieren, was mehr als das Leben für sie war. Sie berührte ihr Haar. Es war ein Maßstab der Distanz
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