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Unter feindlicher Flagge

Unter feindlicher Flagge

Titel: Unter feindlicher Flagge
Autoren: Sean Thomas Russell
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gehofft, man würde mich berücksichtigen und mir nicht bloß den Posten eines Ersten Leutnants geben - aber ich werde nicht ablehnen«, fügte er rasch hinzu.
    Der kleine Mann gab ein leises Brummen von sich, holte ein Taschentuch hervor und begann, die Gläser seiner Brille akribisch zu putzen. »Kapitän Hart befehligt eine neue Fregatte, mit der er seither vor der französischen Küste kreuzt - leider mit wenig Erfolg.«
    Hayden horchte auf.
    »Vor fünf Wochen verlor er einen Matrosen in einem Sturm«, fuhr Stephens fort und ließ das weiche Tuch mit schnellen Handbewegungen über die Gläser gleiten. »Ein Mann stürzte in der Nacht von der Großrah. Wurde nie gefunden. Zugegeben, ein nicht ganz ungewöhnlicher Vorfall auf hoher See. Aber am folgenden Morgen, als man den Kurs setzte, fiel dies hier vom Mittelteil der Rah.« Der Sekretär griff hinter sich und holte ein Glasgefäß hervor, das mit Wachs zugepfropft war. In einer trüben, bernsteinfarbenen Flüssigkeit schwappte ein dicker Wurm vor und zurück. Erst dann erkannte Hayden einen Fingernagel.
    »Das ist ja ein Finger!«, entfuhr es dem Leutnant.
    »Sauber abgetrennt von einer Klinge - so sagt es jedenfalls der Schiffsarzt. Er sah, wie der Finger von oben herunterfiel, daher halte ich mich an die Einschätzung des Doktors. Da jeder an Bord die volle Anzahl Finger besaß, abgesehen von drei Matrosen, die früher einmal einen Finger eingebüßt hatten, vermutete man, dass der Mittelfinger dem Vermissten gehörte.« Stephens Blick wanderte zu Hayden, als erwarte der Erste Sekretär eine Antwort.
    »Aber abgetrennt von einer Klinge, Sir ...«
    »Ja, wohl kaum ein Missgeschick. An jenem Tag hatte der unglückselige Mann einen Streit mit einer Landratte an Bord, einem Mann, der für sein aufbrausendes Wesen bekannt war. In der Hängematte des Mannes fand man ein Messer in einer blutigen Scheide. Natürlich streitet der Neuling alles ab. Er sagt, er habe Federvieh geschlachtet, der arme Teufel. Jetzt sitzt er in Plymouth und wird vor ein Kriegsgericht gestellt.«
    »Aber bei dieser Beweislage wird man ihn doch nicht schuldig sprechen?«
    Stephens zuckte mit den Schultern. Das Schicksal jenes Matrosen schien ihn nicht allzu sehr zu interessieren.
    »Und was hatte ein Neuling an Bord dort oben zu suchen, wenn ich fragen darf?«
    »Die halbe Mannschaft lag krank unter Deck - verdorbenes Schweinefleisch, wie der Schiffsarzt vermutet. In jener Nacht schickten sie auch die Jungen und Midshipmen nach oben.« Stephens gab Hayden mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er das Gespräch nicht weiter in diese Richtung zu führen gedachte. »Kennen Sie Kapitän Hart überhaupt?«
    »Ich hatte noch nicht die Ehre.«
    Der Erste Sekretär wippte leicht mit dem Kopf vor und zurück. »Er ist - wie soll ich es ausdrücken ...? - ein Mann, der durch die Familie seiner Frau an Einfluss gewonnen hat.«
    Jetzt war es an dem Leutnant, zu nicken. Familienbeziehungen war ein Punkt, den er sehr gut verstand - da er selbst über keine verfügte. Wenn man eine Frau hatte, die mit einem »Minister« verwandt war, zählte das »am Hofe« der Admiralität genauso viel wie erfolgreich bestrittene Seegefechte.
    »Man ist etwas beunruhigt wegen dieses Vorfalls auf der Themis. Der Erste Leutnant schied nach der Fahrt aus. Er behauptet, nichts von dieser Angelegenheit zu wissen, und wir hoffen, dass dem so ist.«
    Hayden richtete sich ein wenig auf seinem Stuhl auf. »Wenn es Unzufriedene an Bord von Harts Schiff gibt, warum tauscht man diese Männer nicht aus?«
    Penibel richtete Stephens einen Stoß Papier auf seinem Tisch aus. »Und nehmen wir an, Kapitän Hart hat seine Mannschaft nicht im Griff? Ich glaube nicht, dass das in diesem Fall zutrifft«, er sah Hayden wieder an, »aber Sie haben doch bereits zuvor mit einer unzufriedenen Besatzung zu tun gehabt - und waren recht tüchtig, wie man mir zu verstehen gab.«
    Offensichtlich kannte der Erste Sekretär Haydens Dienstakte sehr genau. »Als ich stellvertretender Kommandant an Bord der Wren ...«
    Stephens nickte kurz, doch dann zeichnete sich eine steile Falte zwischen seinen spärlichen Brauen ab. »Sind Sie sicher, Leutnant, dass Sie nichts über Kapitän Hart wissen? Sie sind doch nicht etwa unaufrichtig zu mir?«
    »Ich habe seinen Namen hier zum ersten Mal gehört.«
    Erneut musterte Stephens ihn einen Moment, als wäge er den Wahrheitsgehalt dieser Antwort ab. »Harts Verbindungen innerhalb der Admiralität reichen bis ganz
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