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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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Haar hatte sich trotz seiner zweiunddreißig Jahre stark gelichtet. Unwillkürlich fiel mir der Reim aus der Schulzeit wieder ein: Blokovsky – Blassovsky ... Blokovsky – Blödovsky. Wie doch manche Dinge in Erinnerung blieben!
    »Hallo Gerald«, murrte er, ohne aufzublicken. »Ich habe in der Personalmitteilung gelesen, dass du hier zu arbeiten begonnen hast. Ich musste deine Zugriffsberechtigung in den Stammdaten erfassen und dir ein Passwort fürs Netz geben.« Er klang nicht begeistert. »Du betreust Marokko und Tunesien, wie interessant.« Er verzog das Gesicht. »Da wirst du ja noch Gelegenheit haben, Frau Klement kennen zu lernen. Nimm dich in Acht vor dem alten Drachen.«
    »Mach ich, danke.« Ich kannte Frau Klement bereits. Sie war meine Chefin, nicht gerade die Netteste, aber ich hatte keine Probleme mit ihr. Doch über Konrad wusste ich mittlerweile, dass ihn die wenigsten in der Firma ausstehen konnten.
    »Aber in der Firma gibt es Schlimmere als sie ...« Ohne Pause klapperte er auf der Tastatur. Sein Gesicht reflektierte das grüne Licht des Bildschirms. Ich stand da, verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere und betrachtete ihn beim Arbeiten. Unser erstes Treffen hatte ich mir anders vorgestellt. Sein Schreibtisch glich einer Müllhalde. Zwischen Pizzakartons und zerdrückten Kaffeebechern ragten EDV-Listen hervor, Flussdiagramme, Programmieranweisungen, zerlesene Handbücher und angekaute Kugelschreiber. Wie man hier arbeiten konnte, war mir ein Rätsel. Doch Konrad war schon als Kind schlampig gewesen, mit Ausnahme seiner peniblen Ansichtskartensammlung.
    »Ich habe dich noch nie in der Werkskantine gesehen. Gehen wir morgen zusammen zum Mittagessen? Es gibt Lasagne mit Salat«, schlug ich vor.
    »Ich gehe nie in die Kantine, esse immer hier.«
    »Aha.« Ich starrte auf die leeren Plastikbecher und McDonald’s -Tüten, die wie angeschwemmtes Treibgut im Büro verstreut lagen, rückte einen Stuhl heran und setzte mich ihm gegenüber. »Wie geht es dir?«
    »Wie soll’s mir schon gehen?« Unter seinen Augen hingen graue Schatten, die wie zerlaufene Theaterschminke aussahen. Von Kollegen hatte ich bereits gehört, dass Konrad in der Firma der Schwindsüchtige genannt wurde – ein Begriff, der mir in der Seele schmerzte, doch der Wahrheit gefährlich nahe kam.
    »Ich wohne in einer Zweizimmerwohnung in einem Altbau mit Klo im Gang, die Miete ist zu hoch, es ist Oktober, die Heizung ist kaputt, die Wände sind feucht, im Treppenhaus gibt es keinen Lift, auf der Tür klebt fünfmal Werbung, nein danke! und trotzdem liegen jeden Tag tonnenweise Postwurfsendungen vor meiner Tür. Wahrscheinlich legen mir die Nachbarn den Mist auf den Schuhabstreifer ... und du fragst mich, wie es mir geht?« Er lächelte gequält, wie damals, als ihn seine Klassenkameraden gepeinigt hatten.
    »Von einer Schulfreundin habe ich gehört, du hast Kathi Baum geheiratet und wohnst im Haus ihrer Eltern«, stellte ich fest.
    »Wir sind geschieden. Dort wohnt jetzt ein anderer.«
    »Tut mir leid.«
    Wir schwiegen, während er auf der Tastatur klapperte.
    »Hast du noch deine Sammlung?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. »Wie viele Ansichtskarten sind es schon? Mittlerweile müssten es Tausende sein.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich habe sie nicht mitgenommen.«
    »Nicht mitgenommen? Tatsächlich?« Der Konrad, den ich kannte, hätte seine Sammlung um nichts in der Welt hergegeben. »Hängst du nicht mehr an ihr?«, fragte ich.
    »Ich bin froh, dass ich sie los bin«, brummte er. »Sie geht mir nicht ab. Manchmal denke ich nicht an sie, dann ruft sie mich wieder an, dieses falsche Luder ...«
    Erst jetzt bemerkte ich, dass er über seine Exfrau sprach. Da schob er die Tastatur von sich, ließ die Arme sinken und wurde gesprächig, als hätte er seit Monaten mit niemandem ein Wort gewechselt und müsse nun alles rauslassen.
    »Wenn ich abends allein in der Wohnung hocke, sehe ich meistens fern. Aber ich kann nicht gleichzeitig die Wäsche bügeln und fernsehen, da knallt es mir die Sicherungen raus«, plapperte er. »In der Waschküche im Keller bügle ich selten. Es gibt zwar eine Maschine, aber die Walze ist kaputt, außerdem kostet die halbe Stunde zehn Euro und obendrein ist es dort im Winter saukalt. Schau! An dieser Weste habe ich mir beim Bügeln einen Knopf abgerissen, aber ich kann ihn nicht annähen.«
    Er erzählte mir von seiner Mutter, die in der Klapsmühle gelandet
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