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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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Kostenstellenausdruck aus der EDV-Abteilung holte.
    Mir stockte der Atem, als ich Konrads Büro betrat. Es war nicht wiederzuerkennen: Die Bleistifte, sauber gespitzt, lagen nach Größe geordnet in einer Reihe, die Fineliner und Leuchtstifte waren nach Farben sortiert, die Ordner standen alphabetisch gereiht in den Schränken. und sogar die Heft- und Büroklammern hatte er auf dem Schreibtisch zu geometrischen Formen zusammengeschoben. Erstaunt blickte ich mich im Büro um. Verschwunden waren die Tüten, Pappbecher, Pizzakartons und Essensreste.
    »Frohes neues Jahr! Du hast den Weihnachtsputz doch nicht etwa wegen der Steuerprüfer gemacht?« Ich grinste. Wie es schien, hatten die Urlaubstage einen neuen Menschen aus Konrad gemacht.
    »Ja, ich habe das alles s-s-sortiert«, stotterte er.
    Erst jetzt blickte er auf.
    »Um Himmels willen, Konrad! Was ist passiert?« Ich sah ihn an.
    Wie ein Geist starrte er zurück.
    Er war blass wie ein Bettlaken. Aus geröteten, unausgeschlafenen Augen blickte er mich an, seine Unterlippe zuckte, die Pupillen kreisten nervös herum. Dunkle Schatten lagen über Kinn und Wangen. Bestimmt hatte er sich das letzte Mal vor Wochen rasiert.
    »Hat dir das dein Chef angeschafft?« Ich deutete auf die Schränke und den Schreibtisch. »Schockke ist doch normalerweise ...«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich selbst.«
    »Aha.« Ich starrte auf meine Schuhspitzen. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Konrad nach den Leuchtstiften griff, sie erneut sortierte und mit dem Lineal in einer exakten Linie ausrichtete. Dabei verzerrte er den Mund zu einem Lächeln, doch Sekunden später blickte er wieder ausdruckslos auf die Tischplatte, als müsse er die Kunststoffbeschichtung durchdringen.
    »Ich wollte die Leuchtstifte nach der Größe ordnen, wie die Buntstifte, siehst du? Aber das geht nicht.«
    Ich runzelte die Stirn. »Warum nicht?«
    »Sie sind alle gleich g-g-groß, siehst du?«
    »Aha.« Ich beobachtete seine flinken Finger, als er die Leuchtstifte mit dem Lineal über die Tischplatte schob.
    »Die Büroklammern ...«, murmelte er. »Wenn du sie genau betrachtest, bemerkst du die unterschiedlichen Farbtöne: grau, braun, silbrig, dunkelrot und metallfarben ... manche sind sogar gelb.«
    »Gelb, aha!« Mehr fiel mir nicht ein.
    »Ist das dunkelrot oder metallfarben?« Er drehte die Büroklammer im Licht. »Metallfarben, siehst du?«
    Ich nickte. Er begann, die Büroklammern zu sortieren. Was versprach er sich davon?
    »Du, ich muss los.« Ich klopfte auf die EDV-Liste im Arm. »Meine Chefin wartet auf mich«, fügte ich rasch hinzu, während mein Herz wild pochte. »Ich habe bloß diesen Ausdruck geholt. Mach’s gut.«
    Ich machte kehrt und stürzte aus dem Büro. Frau Klement wunderte sich bestimmt, weshalb ich so schnell zurück war.
    * * *
    Eine Woche später saß ich zu Mittag in der Werkskantine allein an einem Tisch und stocherte mit der Gabel im Tagesmenü der Firma Gourmet , das aus einer Nudelsuppe bestand, gebackenem Schollenfilet mit gemischtem Salat und Kartoffeln, die nach Pappe schmeckten und trocken im Mund zerfielen. Ohne eine gewaltige Portion Ketchup und einen Berg Sauce Tartare konnte man den Fraß unmöglich essen.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen, Herr Kaltenegger?«, hörte ich eine dumpfe Stimme. Sie stammte von einem großen Mann in dunklem Anzug. Herr Schockke, der Abteilungsleiter der EDV und Konrads Chef, war ein Mann um die fünfzig Jahre mit dichtem, grauem Haar und einem gewellten Seitenscheitel.
    Als ich mit der Hand auf den gegenüberliegenden, freien Platz deutete, rückte er einen Stuhl heran. Schockke stützte sich mit den Ellenbogen auf die Tischkante, beugte sich nach vorne und sah mir beim Essen zu. Er selbst hatte kein Tablett vor sich. Soviel ich wusste, suchte er nur in Notfällen die Kantine auf, da er meist mit externen Programmierern oder Software-Lieferanten auswärts aß.
    Das war einer der Gründe, weshalb man ihn telefonisch nie erreichte, sodass man ihm E-Mails schicken musste, die er allerdings erst Monate später beantwortete. Zum Glück hatte ich als Frankreich-Sachbearbeiter nicht viel mit ihm zu tun. Außerdem hasste ich es, wenn man mir beim Essen zusah.
    »Ich störe Sie nur ungern während Ihrer Pause, deshalb möchte ich mich kurz fassen.« Er räusperte sich. »Sie sind doch Blokovskys ehemaliger Schulfreund, nicht wahr?«
    Blokovsky – Blassovsky ... Blokovsky – Blödovsky ...
    »Ja.« Ich ahnte bereits, worauf er
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