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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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hatte. Konrad hockte wie üblich in seiner Ecke hinter dem Monitor. Ein Kaffeebecher stand neben ihm auf dem Schreibtisch. Konrad trug eine dunkle Weste, an der zwei Knöpfe fehlten, und ein Hemd in einer blassgrünen Farbe. Er kaute an einem Kugelschreiber und klapperte auf der Tastatur.
    »Was treibst du noch so spät hier?«
    »Ich muss die Daten der AS400 für den Jahresabschluss sichern.« Er blickte nicht einmal auf.
    Datensicherung, Jahresabschluss! Das waren Dinge, um die ich mich zum Glück nicht zu kümmern brauchte. Die Maghreb-Staaten hatten einen guten Umsatz gebracht, ich musste lediglich die letzten Bestellungen für heuer bestätigen, danach war das Jahr für mich gelaufen – Weihnachten und Silvester konnten kommen!
    Ich wuchtete das Paket auf den Schreibtisch, stützte mich mit dem Ellenbogen darauf und sagte mit feierlicher Stimme: »Ich wünsche dir fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr.«
    Er fuhr mit dem Stuhl zurück. Entsetzt blickte er auf. »Ist das etwa für mich?«
    »Nein, für deinen Chef, du Idiot.«
    »Danke.« Als sich seine Wangen röteten, wich er meinem Blick aus. »Ich habe nichts für dich, Gerald.«
    »Du schuldest mir ein Bier, dann sind wir quitt, in Ordnung? Und jetzt mach es endlich auf!«
    »Jetzt gleich?«
    »Natürlich, schließlich möchte ich dein Gesicht sehen.«
    »Danke.« Er zog das Paket zu sich heran, streifte die Schleife ab und riss das Papier auf. Sein Gesicht wurde lang. »Ein Puzzle?« Er schob den Karton von sich.
    »Klar!« Mit einem Mal war ich gar nicht mehr davon überzeugt, das richtige Geschenk für Konrad besorgt zu haben. » Der Turmbau zu Babel ... neuntausend Teile«, fügte ich hinzu. Im matten Licht der Neonröhre glänzte die Goldprägung auf dem Schachtelrand.
    »Neuntausend Teile?«, wiederholte er. »Das ist unmöglich!«
    »Nichts ist unmöglich, in ein paar Monaten bist du damit fertig. Das ist doch toll, oder?« Ich trommelte mit den Fingern auf dem Schachteldeckel. Das Motiv zeigte ein Ölgemälde von Pieter Brueghel aus dem Jahre 1563, einen in matten Farben gemalten, halb fertigen runden Turm, mehr breit als hoch, mit Hunderten winzigen Menschlein, die herumkletterten und sich in den Stockwerken tummelten.
    Konrad nickte langsam, als ließe er sich meine Worte durch den Kopf gehen. »Ich kann es ja versuchen.« Er reichte mir die Hand. »Ich wünsche dir auch frohe Weihnachten und schöne Feiertage.«
    »Danke. Mach’s gut, und Kopf hoch.« Ich verließ sein Büro und schlenderte zu meinem Arbeitsplatz. Nach sechs Uhr abends raffte ich als einer der Letzten meine Unterlagen zusammen, nahm meine Jacke, verließ das Besprechungszimmer und das Gebäude. Der Wind pfiff mir um die Ohren. Ich wickelte mir den Schal um den Hals, schlug den Mantelkragen hoch und stapfte durch den Schnee zu meinem Wagen. Das Eis knirschte unter den Schuhen. In den Kellerfenstern der EDV brannte noch immer Licht. Ich musste an Konrad denken. Sein Gefährt stand auf dem Firmenparkplatz, kaum zu übersehen, ein roter Opel Kadett, 79er Baujahr, mit vielen Roststellen, die im Licht der Straßenlaterne wie schwarze Dellen wirkten. Es war eines der letzten Autos, eine dünne Schneeschicht auf dem Dach und die Fensterscheiben innen angefroren. Ich hoffte, ich hatte mit dem Puzzle das Richtige getan, und Konrad würde über die Feiertage ein wenig Ablenkung finden. Eilig stieg ich in den Wagen. Auf dem Nachhauseweg war Konrad bereits vergessen.
    * * *
    Wie immer vergingen die Weihnachtsfeiertage viel zu rasch. Den Heiligen Abend verbrachte ich in Claras Wohnung im Studentenheim und Silvester mit Freunden beim Skifahren in Bad Hofgastein. Während ich fort war, saugte meine Mutter einmal die Wohnung und fütterte meine beiden Hamster Stan und Laurel . Ich telefonierte zweimal mit meiner Großmutter und gab den Rest des Weihnachtsgeldes für neue Pullover, Schuhe und Jacken und ein großes, tolles Hamsterrad aus. Der einzige Wermutstropfen jener Tage war die Umwälzpumpe meines Aquariums, die über Silvester den Geist aufgab, sodass bei meiner Rückkehr vom Skiurlaub die Zierfische bäuchlings auf der Wasseroberfläche trieben.
    Für die Mitarbeiter von Gneissl & Wombring begann das neue Jahr mit unerwartetem Stress, weil sich unmittelbar nach dem Jahresabschluss die Steuerprüfer des Finanzamtes ankündigten, um jeden Beleg umzukrempeln. Ich sah Konrad erst Ende Jänner wieder, als ich für eine Besprechung mit Frau Klement einen
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