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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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Mädchen, dessen graue, lederartige Haut mit weißen Flaumfedern bedeckt war. Sie hetzten es schon den ganzen Tag, nachdem sie seine Mutter in der Früh in blinder Raserei gesteinigt hatten.
    * * *
    Das Leben war stets hart gewesen in dem Gebirgsland, dem Reich des Adlers. In dieser Höhe war der Boden rau und trocken, das Wetter kühl und stürmisch. Die Menschen in der dünnen und kalten Luft waren ausgezehrte Geschöpfe, die ihr Leben in Demut und geistiger Reinigung verbrachten. Sie wussten sehr wohl von der Welt dort draußen, in abendlicher Runde durch einen rauschenden Flimmerkasten übertragen, und manchmal waren auch Mönche und Missionare gekommen, die von Teufeln und Höllen predigten, wenn man nicht gottgefällig lebte. Einiges leuchtete den Gebirgsmenschen ein, weil es sich auch mit ihren Erfahrungen über Dämonen deckte. Nach wie vor aber behielten sie ihr Pantheon – schließlich mussten sie mit den Göttern leben, nicht die Fremden, und die Götter waren nachweislich existent, auch wenn die Missionare etwas anderes behaupten wollten –, und der Gott, der sie ihrer Überlieferung nach am meisten beschützte, war der Schwarze Adler. Seine besonders glühenden Anhänger nannten sich die Telmadren , die Auserwählten, die sich bis heute im ewigen Kampf gegen den mächtigen Weißen Dämon des Todes behauptet hatten. Dieser war der geflügelte Herr des Schnees, der die Dörfer seit Äonen jedes Jahr überfiel und seiner grausamen Macht zu unterwerfen suchte. Er versprach den Menschen ein besseres Leben, wenn sie fortan nur ihn anbeteten, und schwor eisige Rache, sollten sie vom Schwarzen Adler nicht ablassen. Jährlich starben viele Menschen unter Qualen, aber nie verriet einer seinen Glauben, denn auf der anderen Seite des Todes wartete das Paradies. Darin waren sich sogar die meisten Missionare einig, also konnte der Glaube nicht falsch sein, sondern war der einzig wahre.
    Die Sippe der Telmadren bestand aus Nachfahren eines vertriebenen Volkes, das sich hier vor nahezu zweitausend Jahren nach langer Flucht niedergelassen hatte, um Kraft zu schöpfen. Nach den Überlieferungen sollte es eines Tages dem gläubigsten Propheten und seiner Anhängerschar als ersten Menschen gelingen, die höchsten aller Berge und den Himmelssitz der Götter zu überschreiten und dahinter das Reich der Goldenen Bäume zu erreichen, wo der Frühling ewig herrschte und die Früchte in den Mund wuchsen – in einem unentdeckten Tal. So hatte der Schwarze Adler es ihnen verkündet, als sie damals hierher kamen, und seither warteten sie auf das, was er ihnen vorausgesagt hatte: Zuerst musste das Volk geprüft werden, und dann würde ein Zeichen geschickt, das den baldigen Aufbruch ins Paradies vorbereiten sollte.
    Seit Beginn der Legende verließ der Schwarze Adler alle zwölf Jahre seinen Himmelssitz und überflog sein Reich, um nach dem Propheten Ausschau zu halten und die Reinheit des Volkes zu prüfen. Wenn der Tag gekommen war, wollte er bei ihnen landen und ihnen seinen göttlichen Atem einhauchen, damit sie für die lange gefahrvolle Reise gerüstet waren. Vor zwölf Jahren kreiste er lange über den Telmadren, ja, es schien fast, als wolle er landen. Die Menschen waren dorthin gerannt, wo er ein Stück weit herabgesunken war, bevor er verschwand. Doch sie fanden nur eine Frau aus ihrer Mitte, schlafend auf eisfreiem Moos gebettet. Sie konnte sich nicht erinnern, wie sie dorthin gelangt war, wusste nur noch von einem schönen Traum voller blühender Obstbäume. »Hat Gott dich erleuchtet?«, wurde sie gefragt, und sie antwortete mit einem vergeistigten Lächeln, das sonst nur die Priester in tiefer Trance zeigten.
    Das war das Zeichen!
    Seit dieser Zeit gaben sich die Menschen ihrer göttlichen Demut noch eifriger hin, in Gebeten, harter Arbeit, geistiger und körperlicher Reinigung und Läuterung.
    Sechs Jahre standen die Zeichen gut. Der Weiße Dämon wurde weniger gefürchtet, und so zeigte er sich so manchem in neuer Gestalt als Verführer. Aber die Schamanen wussten, wie ihm beizukommen war. Doch dann wurde die jüngere Schwester jener Frau, die man im Moos gefunden hatte, die seit frühen Mädchentagen in tiefer Religiosität und Keuschheit gelebt hatte, schwanger und konnte den Vater nicht nennen. »Es ist von Gott, dem Schwarzen Adler«, erklärte die ältere Schwester, »es ist das Zeichen, das er mir vor sechs Jahren gab, nun vollendet es sich, und in sechs Jahren werden wir aufbrechen.«
    Als das Kind geboren
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