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Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen

Titel: Unter dunklen Schwingen - Unter dunklen Schwingen
Autoren: Alisha Bionda
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beobachtete. Schließlich machte ich kehrt und verließ die Wohnung.
    »Hier ist der dreiundachtzigste Puzzlestein, er passt genau ins Puzzle rein!«, hörte ich es aus dem Zimmer flüstern.
    Verrückt! Ich würde erst wieder vernünftig mit ihm reden können, wenn er den verkehrten «Turmbau zu Babel« vollendet hatte. Zwar hielt ich das für unsinnig, doch diese Zeit wollte ich ihm geben.
    * * *
    Drei Wochen vergingen, und vom Betriebsrat der Firma erfuhr ich, dass Konrad nach seinem einwöchigen Urlaub nicht mehr wieder an seinem Arbeitsplatz erschienen war. Noch während seines Urlaubs hatte er im Personalbüro angerufen und sich mit Fieber, Migräne und Schüttelfrost krank gemeldet. Seitdem hatte er nichts mehr von sich hören lassen. Er ging auch nicht ans Telefon.
    An dem Tag, als ich erfuhr, dass man ihn kündigen wollte, fuhr ich nach Dienstschluss zu einem nahe gelegenen Supermarkt, um einzukaufen. Anschließend schleppte ich zwei Papiertüten Lebensmittel über die Wendeltreppe in das Dachgeschoss zu Konrads Wohnung. Auf der Türmatte lagen Dutzende Werbeprospekte. Wie lange war er schon nicht mehr vor die Tür gegangen? Ich hoffte, dass er nicht gerade schlief. Während ich überlegte, ob er mir überhaupt öffnen würde, sah ich, dass die Wohnungstür einen Spaltbreit offen stand. Ich musste sie nur mit der Schuhspitze antippen, damit sie vollends aufschwang. Aus der Wohnung drang ein muffiger Gestank in das Treppenhaus. Mit angehaltenem Atem trat ich ein. Auf dem Boden lagen Dosen, Servietten, Plastikbecher, Pizzakartons und chinesische Fast-Food-Tüten. An einer quer durch die Küche gespannten Leine wippten zerknitterte, steife Wäschestücke. In der Spüle stapelten sich Besteck und fleckiges Geschirr, und über allem hing ein bestialischer Odem, der mich würgen ließ.
    Ich ging weiter. Konrad hockte hinter dem Wohnzimmertisch, still über die Spanholzplatte gebeugt. Da die Jalousie heruntergezogen war, konnte ich ihn nur undeutlich erkennen. Er trug einen Schlafmantel. Seine abgemagerten Gesichtszüge wurden von einem Bart überschattet, der in krassem Gegensatz zu seinem schütteren Haar stand. Ich stellte die Papiertüten auf den Boden und betrat das Wohnzimmer. Verstreut auf der Couch lagen leere Soletti - und Chipspackungen, die Brösel hatten sich in den Bezug gerieben und fleckige Stellen hinterlassen.
    »Ich habe gehört, du bist krank?« Ich starrte auf das fertig gelegte Puzzle, eine dunkelgrüne Fläche von drei Quadratmetern. »Ich habe dir Brot, Eier, Käse, Wurst, Mineralwasser und Fruchtsäfte mitgebracht. Ich dachte ...«
    In seiner Kehle gluckste es. »Ich h-h-habe das Puzzle f-f-fertig.« Er würgte die Worte richtiggehend hervor, als stülpe sich sein Magen um.
    Sogar auf diese Entfernung bemerkte ich seinen Mundgeruch. Konrads schwarze Fingerkuppen, der fleckige Schlafmantel und die wässrigen Augen waren ein elender Anblick; darüber hinaus stank er nach Urin und Schweiß. Sein hagerer Oberkörper krümmte sich über das Puzzle. Er streckte die ausgemergelten Arme aus und strich mit den Handflächen über die grüne Landschaft, als wolle er sein Werk liebkosen.
    »Im Personalbüro haben sie mir gesagt, dass du nicht ans Telefon gehst.« Ich blickte zur Kommode. Das Telefonkabel war aus der Wand gezogen und lag inmitten von Staub und Bröseln auf dem Boden. »Sie wollen dich kündigen, hast du gehört?«, fuhr ich ihn an, doch er zuckte nicht einmal zusammen.
    Reglos hockte er da.
    »Es ist f-f-fertig«, wiederholte er. »Zum z-z-zweiten Mal.« Er zog eine lange Schere aus der Tasche des Schlafmantels. Ich wich einen Schritt zurück, presste den Rücken an die Wand und starrte auf die beiden Scherenblätter. Konrad brach einen grünen Stein aus der Fläche und schnitt ihn in der Mitte entzwei. Die beiden Teile fielen klappernd in den leeren Karton. Ein zweiter und dritter Stein folgten, systematisch halbierte er jedes Stück.
    »Zum Teufel! Was machst du da?«
    »Ich b-b-bastle«, antwortete er.
    Tack, tack – wieder fielen zwei Hälften in den Karton.
    »Du ruinierst das Puzzle«, stellte ich fest.
    Tack, tack.
    »… bastle«, wiederholte er.
    Tack, tack.
    »Ich mache ein Puzzle aus a-a-achtzehntausend Teilen.«
    »Und dann?« Ich trat einen Schritt näher. »Du willst es doch nicht wieder zusammenbauen, oder?«, flüsterte ich, doch er antwortete nicht.
    Tack, tack.
    «Konrad! Hör auf! Das ist unmöglich, du drehst noch völlig durch!«
    Er hielt inne und starrte auf die
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