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Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Titel: Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Autoren: Reimund J. Dierichs
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mich, die deshalb als Liebesobjekt für mich und Verbündete gegen meinen Vater ausfiel. Was blieb mir anderes übrig, als mich mit meinem Bruder zusammen zu schließen in der Hoffnung, durch ihn auch die Aufmerksamkeit meines Vaters zurück zu gewinnen. Leider hatte ich mich verschätzt, und meine vermeintliche Bruderliebe machte mich zum idealen Babysitter. Wann immer meine Eltern ihre Ruhe haben wollten, wurde ich verpflichtet, mich um das Kind zu kümmern. Es konnte also gar nicht lange dauern, bis ich anfing, meinen Bruder zu hassen. Ich versuchte, es so gut es ging zu verbergen, weil ich keinen neuerlichen Zorn auf mich ziehen wollte. Ich glaube sogar, dass er nicht einmal ahnte, wie wenig ich ihn leiden konnte, denn er war schon als Baby verrückt nach mir. Gewissermaßen hatte er sogar zwei Mütter, während mir gar nichts blieb.
    Mit zehn ging Sven aufs Gymnasium. Ab da kam Alexander ins Spiel. Sie besuchten dieselbe Klasse und freundeten sich an. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Eltern kennen lernten. Gemeins ame Interessen führten zu regelmäßigen Besuchen und gemeinsamen Urlauben, die meistens an der Algarve verbracht wurden, weil Alexanders Eltern dort ein Haus besaßen. Bei unserem letzten Besuch dort verunglückte mein Bruder. Seitdem sind wir nie mehr dort gewesen.“
    „Alexander Seamus hat uns erzählt, dass die Freundschaft zwischen Ihrem Bruder und ihm mehr war als die übliche Verbundenheit unter Jungen.“
    Stefanie Burghausen litt. Das war nicht zu übersehen. Sie knetete nervös an ihren Händen herum und bog ihre Finger bis über die Schmerzgrenze hinaus nach hinten. „Ja, das war es wohl“, sagte sie kaum hörbar. Wahrscheinlich ging das schon eine ganze Weile, bevor ich es merkte. Ich wurde erst wirklich darauf aufmerksam, als ich mich selbst im Alter von achtzehn Jahren in ihn verliebte. Einmal mehr wurde ich ausgeschlossen, ein Gefühl, dass ich ja schon kannte, aber das jedes Mal neue Wut in mir entfachte.
    Eines Abends, nachdem meine Mutter mit einer Freundin in ein Fischlokal am Strand von Albufeira gegangen war und die beiden Jungen draußen auf den Felsen saßen, kam ich auf die absonderliche Idee, meinen Vater zu verführen. Ich glaube nicht einmal, dass ich Sex mit ihm wollte, ich wollte ihn einfach spüren, wollte, dass er mich begehrte, mich in den Arm nahm, mir die Liebe gab, die er mir immer verweigert hatte. Mein Plan ging aber nur zum Teil auf. Ich lief mit nacktem Oberkörper durchs Wohnzimmer, wo er sich aufhielt, sah, wie er mich taxierte, setzte mich neben ihn und kuschelte mich an ihn. Ich nahm seine Hand, legte sie auf meine Brust, spürte, wie er anfing zu schwitzen. Er schien abzuwägen, Lustgewinn und mögliche Konsequenzen zu bedenken. Erst als ich seine Hand in mein Höschen schob, sprang er auf und rannte hinaus in den Garten, wo es dann zu einer Auseinandersetzung mit meinem Bruder kam, die wohl nur deshalb so heftig geriet, weil er wegen der Begegnung mit mir von Schuldgefühlen geplagt wurde. Es war zwar nichts passiert, aber ich hatte ihm klar gemacht, wie leicht es sein könnte, unerlaubte Grenzen zu überschreiten.“
    „Und diese Auseinandersetzung hatte dann einen Toten zur Folge?“ Leng sah Stefanie Burghausen direkt in die Augen, bis sie seinem Blick nicht mehr standhalten konnte.
    „Ja“, flüsterte sie, um d ann mit tonloser Stimme hinzuzufügen: „Aber ich bereue es nicht.“
    „Dann sind Sie also dafür verantwortlich, dass ihr Bruder starb?“
    Sie nickte.
    „Und Alexander Seamus hat es gewusst?”
    „Nein, das stimmt nicht. Er hat es immer geahnt, es sich aber nie eingestanden. Es war so viel einfacher, meinen Vater zu verdächtigen, weil es ja auch viel nahe liegender schien. Die beiden Männer hatten sich ja schließlich gestritten. Ich kam erst später hinzu, als nur noch mein Bruder auf dem Felsen stand.“
    „Und dann haben Sie ihm…“
    „…einfach einen Stoß gegeben“, beendete sie Lengs Satz. „Es war einfacher, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich musste mich nur an all die Zurückweisungen, all die Entbehrungen, all die Kränkungen erinnern. Anschließend bin ich in den Ort gegangen und erfuhr erst Stunden später bei meiner Rückkehr vom tragischen Unfall meines Bruders. Ich hatte sogar, wie sich erst später herausstellen sollte, zwei Fliegen mit einer Klappe erwischt. Mein Vater war danach ein anderer Mensch. Er litt, weil er sich schuldig fühlte am Tod seines Sohnes. Er litt, wie ich all die
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