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Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)

Titel: Unter der Haut (Hauptkommissar Leng ermittelt) (German Edition)
Autoren: Reimund J. Dierichs
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weshalb es manchmal eine Weile dauerte, bis der Schlüssel ins Fahrradschloss fand. Noch schwieriger gestaltete es sich bei den Kombinationsschlössern, weil es bei Dunkelheit nahezu unmöglich war, irgendwelche Zahlen zu erkennen.
    Mathilde Schneider beschlich noch immer ein seltsames Gefühl, wenn sie früh am Morgen den Hof betrat. Es schnürte ihr nicht mehr die Kehle zu oder ließ sie in Panik geraten; vielleicht konnte man es eher mit gesteigerter Aufmerksamkeit umschreiben. Gut zwei Jahre war es her, als sie in einer kalten Spätwinternacht an eben diesem Ort ihr Fahrrad holen wollte und sich völlig unerwartet mit einer männlichen Gestalt konfrontiert sah. Beeinflusst von Medienberichten, die Köln einen Spitzenplatz bei Vergewaltigungen einräumten, konnte sie nur eines glauben: Der Mann dort im Dunkeln musste ein Frauenschänder sein.
    Später vermochte sie nicht mehr zu sagen, woher sie die Stange genommen hatte. Genau genommen war es ein etwa ein Meter langes, gelöchertes Winkeleisen gewesen von der Sorte, wie sie oft als Grundstützen von Bücherregalen Verwendung finden. Sie war einfach da gewesen wie der berühmte Retter in der Not. Zweimal hatte sie Wut entbrannt auf den vemeintlichen Angreifer eingeschlagen und später auf dem Polizeirevier dann erfahren, dass sie einen harmlosen Obdachlosen fast zu Tode geprügelt hätte. Der wiederum hatte die einen Spalt offen stehende Haustür (bei starkem Frost verzog sie sich immer) so einladend gefunden, dass er auf der Suche nach einem geeigneten Schlafplatz in dem beigefarbenen Sessel gelandet war. Möglicherweise hatte sie diesem Narren ja sogar das Leben gerettet, wie einige Arbeitskollegen nicht aufhörten, ihr zu versichern. Ein paar Stunden länger in der eisigen Kälte wäre wohlmöglich sein Tod gewesen.
    Seit damals hatte sich vieles verändert. Auf einer in aller Eile zusammen getrommelten Hausbewohner-Versammlung hatte die Betroffene in einer solchen Deutlichkeit allen Anwesenden die Notwendigkeit einer verschlossenen Haustür und -vor allem- einer verschlossenen Hoftür eingeschärft, dass es nie mehr -von einer einzigen Ausnahme abgesehen- zu einer solchen Nachlässigkeit gekommen war.
    Mathilde Schneider schob ihr Rad durch den engen Hausflur, ein schwieriges Unterfangen, da ihre äußere Form jedem Sumoringer zur Ehre gereicht hätte. Im Laufe der Jahre hatte sie allerdings eine erstaunliche Routine entwickelt. Eng an den schwarz lackierten Rahmen gepresst, balancierte sie den Drahtesel bis zur Haustür.
    Sie hatte nicht erwartet, dass es so kalt sein würde. Auf dem geschützten Innenhof war es ihr vergleichsweise warm vorgekommen, aber jetzt blies der Wind eisig den Gereonswall entlang und durch das Eigelsteintor hindurch, das zu den wenigen Überresten einer einst imposanten Stadtmauer gehörte. Sie zog sich eine selbst gestrickte Wollmütze so weit über die Stirn, dass kaum mehr etwas von ihrem kurzen, grauen Haar zu sehen war, stülpte sich ein Paar gefütterte Wildlederhandschuhe über und stieg aufs Rad.
    Sie war viel zu spät dran an diesem Morgen. Ihr Zug fuhr um 5.39 Uhr. Für die Fahrt zum Westbahnhof musste sie zehn Minuten einkalkulieren, zwei weitere, um ihr Fahrrad Diebstahlsicher anzuketten.
    Mathilde Schneider war eine beherzte Person, was sich gewöhnlich auch auf ihre Fahrweise auswirkte; aber der gefrorene Boden flößte ihr doch einigen Respekt ein. Es schien zwar nicht glatt zu sein, aber Vorsicht war besser als Prellungen oder gar gebrochene Knochen.
    Sie bog in die Lübecker ein, die zu den wenigen Straßen in der nördlichen Altstadt gehörte, die noch mit einer nahezu geschlossenen Häuserfront aus dem vorletzten Jahrhundert aufwarten konnte. Alle Gebäude waren mit aufwändigem Stuck verziert, und einige besaßen darüber hinaus auch noch kleine, filigrane Balkone.
    Sie liebte diese Straße und das keineswegs nur wegen ihrer prachtvollen Fassaden, sondern vor allem wegen ihrer Lebendigkeit. Auf einem kurzen Stück von nicht einmal hundertundfünfzig Metern gab es ein ehemaliges Pornokino, dass sich schon seit Jahren der Filmkunst verschrieben hatte, ein kleines Eckcafé, in dem vornehmlich junge Leute verkehrten, eine urige Kneipe, die wie ein Relikt aus den Siebziger Jahren wirkte und in der auch überwiegend Musik aus dieser Zeit gespielt wurde, einen Immobilienmakler, der dank seines außergewöhnlichen Schnurrbarts und seiner extravaganten Kleidung wie ein lebendes Kunstobjekt aussah und der im Komitee eines
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