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Unter dem Deich

Unter dem Deich

Titel: Unter dem Deich
Autoren: Maarten 't Hart
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Anzahl von Kandidaten allerdings lediglich alle zweitausend Jahre einmal.
    In der Nähe der Schans befindet sich die Mündung des Noordvliet, die durch ein Siel vom Hafenbecken getrennt ist. Hier scheint der Ursprung der Stadt zu liegen. Dieses Siel, die Monsterse Sluis, wird 1367 in einem Brief erwähnt, aus dem hervorgeht, dass bereits vor diesem Zeitpunkt das bei der Trockenlegung des Dorfes Maasland anfallende Wasser an dieser Stelle in die Maas geleitet wurde. Zwei Hütten aus Lehm und Schilf, in denen die Sielwärter wohnten, haben angeblich die erste Bebauung des Ortes gebildet. Zwei Jahrhunderte später ging dort, davon sind alle Einwohner überzeugt, Jan Koppelstock in seinem Haus ein und aus. Das Haus steht heute noch, obwohl Koppelstock allem Anschein nach in Den Briel gewohnt hat. Er war derjenige, der um 1572 zwischen Den Briel und der damals noch nicht existierenden Stadt einen Fährdienst betrieb. So wurde an jenem denkwürdigen Dienstag, dem 1. April, als mit der Eroberung von Den Briel der Aufstand gegen die Spanier begann, eine entstehende Stadt aus der Anonymität geholt und für kurze Zeit mit dem großen Weltgeschehen in Verbindung gebracht.
    An der Monsterse Sluis landete 1597 ein Schiff. »Am 29. Oktober gelangten wir mit ostnordöstlichem Wind in die Maas und gingen dort in der Nähe der Maaslandschleuse an Land.« Es liegt nahe, dass die Seeleute ihr Schiff an den Anlegestellen festgemacht haben, die damals aus dem Deich ragten. Und dann? Hat der Sielwärter sie an Land gehen sehen? Oder haben die Männer, die den Winter im Nordpolarmeer auf der Insel Nowaja Semlja überlebt hatten, unbemerkt ihren Fuß an Land setzen können, nachdem sie am 14. Juni desselben Jahres in zwei offenen Booten in See gestochen waren?
    Der Seedeich, an dem das Schiff damals vertäut wurde, teilt die Stadt in einen höher und einen niedriger gelegenen Teil. Der tiefer gelegene Teil, innerhalb des Deichs, beherbergte früher in dem Gebiet um die Vliete herum diejenigen, die man die »kleinen Leute« nannte und später die »Unterprivilegierten« nennen sollte. Die besser Situierten – man denke dabei nicht an reiche Leute, die gibt es dort nicht – wohnen in dieser Stadt vier Meter höher als die Armen. So ist der Standesunterschied sehr genau messbar. Natürlich hat sich der ein oder andere Reiche »unter dem Deich« niedergelassen, und umgekehrt wohnen im Hoofd und im Stort viele Unterprivilegierte, aber allein schon die Tatsache, dass man »über dem Deich« wohnt, verschafft einem einen Vorsprung, hebt einen vier Meter über die anderen Bewohner empor.
    An einigen Stellen kann man mithilfe einer Treppe auf den Deich steigen. Zu beiden Seiten der Monsterse Sluis verläuft die älteste Treppe der Stadt, die Steenen Trappen aus dem Jahr 1732. Sie wird auch Breede Trappen genannt, obwohl ihre Stufen gar nicht breit und eher für kleine Füße berechnet sind.
    Drei andere Deichaufgänge tragen die Namen Wedde, Afrol und Wip. Anders als Wedde und Afrol, die parallel zum Deich hinaufführen, ist die Wip im Neunzig-Grad-Winkel zum Deich angelegt. Sie ist dadurch steiler als die beiden anderen Treppen. Im Träumen und Denken der Sluiser – wie sich die Bewohner der Stadt selbst nennen – spielt die Wip eine wichtige Rolle. Wenn ein Sluiser stirbt, hört man die Leute zueinander sagen: »Hast du schon gehört? Lagrauw ist tot.«
    »Mensch, wie ist es möglich! Vorigen Samstag habe ich ihn noch auf der Wip Richtung Seemannshaus gehen sehen.«
    Oder sie sagen: »Van Vuuren ist ziemlich krank, wie man hört.«
    »So was, erst gestern ist er die Wip hochgeflitzt.«
    Wenn man sich in der Stadt begegnet, dann geschieht dies grundsätzlich auf der Wip. Es muss nicht wirklich dort passieren, doch einfachheitshalber verlegt man jede Begegnung, wenn man später von ihr erzählt, auf die Wip. Wenn man wissen will, ob man von einer Krankheit vollkommen genesen ist, dann schaut man, ob man die Wip wieder hochrennen kann. Die Wip ist lange Zeit der erste und einzige Weg gewesen, der elektrisch beleuchtet wurde. Oben an der Wip, dort, wo das Rathaus steht, beginnt Leen van Buren seinen Gang durch die Stadt, wenn er als Ausrufer eine Nachricht der Gemeindeverwaltung verkündet. Dort auf der Wip wird später einmal Heleentje Lub von einem Lastwagen der Vereinigten Seilfabriken überfahren werden. Sie wird unverletzt bleiben, obwohl die Reifenspuren noch monatelang auf ihrem Gesicht zu sehen sind.
    Auf der Wip lassen die Gäule von
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