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Unter dem Deich

Unter dem Deich

Titel: Unter dem Deich
Autoren: Maarten 't Hart
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Montagmorgen schon vor sieben Uhr Krankheit, Unglück und Seitensprung ihrer Stadtgenossen besprechen. Es herrschte jedes Mal ein Höllenlärm, vor allem, wenn einem der Anwesenden ein Spritzer glühend heißen Wassers aus einem der zu wild hin und her schaukelnden Eimer traf. Ständig hörte man das Zischen des Dampfes, und der Dampf selbst nahm, jedes Mal wenn ein Eimer gefüllt wurde, alle in der Wasserheizerei hängenden Gerüche in sich auf, die man dann in konzentrierter Form in der Dampfwolke über dem Eimer mit auf den Heimweg nahm. Ohne zu kleckern, musste man den Eimer nach Hause tragen, was meist beim zweiten Gang besser gelang.
    Als der große Tag kam, an dem ich alt genug war, um zwei Eimer gleichzeitig zu tragen, wurde die erste Waschmaschine unter dem Deich aufgestellt. Zuvor hatten dort alle Frauen in einem Bottich gewaschen, aus dem die Wäsche stückweise herausgeholt und auf einem Waschbrett eingeseift und geschrubbt werden musste.
    Bevor allerdings die Waschmaschine wie ein Geschenk aus dem Kaufhaus des Himmels Einzug hielt, war die Schwerstarbeit meiner Mutter bereits durch einen Wringer erleichtert worden. Dass die Wäsche nicht mehr mit der Hand ausgewrungen werden musste, machte den Montag, seit Alters her der schlimmste Tag der Woche, etwas erträglicher. Dennoch blieb auch nach der Einführung des Wringers der Montag der einzige Wochentag, an dem meine Mutter keine Psalmen sang: Im Haus herrschte eine bedrückte, schicksalsergebene Stimmung. Waschtag!
    Und dann kamen also – und meine Mutter sagt heute noch: »Das war der schönste Augenblick meines Lebens« – die Waschmaschinen. Anfänglich mangelte es den Familien unter dem Deich an den finanziellen Mitteln, um eine solch wunderbare Erfindung anzuschaffen, die sogar das Radio weit hinter sich ließ. Ein reicher Kohlenhändler kaufte ganz nebenbei rund fünfzig Maschinen und ließ über die Zeitung De Schakel verbreiten, dass man eines der Geräte für einen Vormittag oder Nachmittag auch leihen könne. Und so kam es, dass dieselben Lastwagen, die von Dienstag bis Samstag über dem Deich Anthrazitkohle und unter dem Deich Eierkohlen lieferten, am Montag losfuhren, um den Leuten unter dem Deich ihre Mietwaschmaschinen zu bringen. Und dieselben muskelbepackten Männer, die sonst, mit einem zu einer Zipfelmütze zurechtgeschnittenen Kohlensack auf dem Kopf, die schweren Eierkohlensäcke durchs Haus in den Kohlenschuppen im Hof trugen, stellten am Montagmorgen eine quadratische weiße Waschmaschine in den Flur. Da wir bereits einen Wringer hatten, versuchte meine Mutter eine billigere Maschine ohne Wringer zu bekommen, doch das gelang ihr nicht. Van Heyst, der reiche Kohlenhändler, vermietete ausschließlich ein Waschmaschinenmodell mit einer kleinen, runden schwarzen Scheibe unten drin, die sich beim Waschen drehte, was man leider wegen der vielen Lauge darüber nie sehen konnte. Und auf der Maschine war ein weißer Wringer befestigt.
    Ach, wie die Kohlenlaster am Montagmorgen in rasendem Tempo mit den Waschmaschinen durch die Stadt bretterten! Alle wichen ihnen aus, das Waschen war heilig. Auf den fahrenden Lastwagen hüpften und rumpelten die Waschmaschinen hin und her. Wenn man einen der Wagen mit den schwankenden Maschinen die Wip hinunterfahren sah, dann schien es, als führten die Maschinen auf der Ladefläche einen Waschtanz auf, so froh waren sie, nach einer Woche gezwungenen Stillstands endlich wieder etwas zu tun zu bekommen.
    Sehr bald wurde deutlich, dass die Nachfrage nach Mietmaschinen das Angebot hundertfach überstieg. Sogar in der Sandelijnstraat und auf dem Stroniekadje wollten die Hausfrauen mieten. Van Heyst kaufte nur wenige neue Maschinen, erhöhte die Miete und führte Mietpläne ein. Man konnte eine Maschine von sechs bis acht, von acht bis zehn oder von zehn bis zwölf mieten. Oder erst am Montagnachmittag, das war billiger, aber das wollten die Hausfrauen unter dem Deich nicht. Die Laken mussten schon vor dem Mittag auf den Leinen in den kleinen Innenhöfen hängen. Weil Angebot und Nachfrage so weit auseinanderklafften, versuchte van Heyst die Frauen mit großen Rabatten dazu zu bringen, an anderen Wochentagen als dem Montag zu waschen. Doch in unserer wohlgeordneten Welt war der Montag seit Menschengedenken Waschtag – daran war nicht zu rütteln. Am zweiten Tag der Woche hatte Gott die Wasser geschieden; selbst in der Bibel stand geschrieben, wozu der Montag bestimmt war.
    Daher hatten die Kohlenträger am
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