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Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern
Autoren: Victoria Connelly
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hatte. Dann räumte sie auf. Zum Glück war ihr Haus sehr klein, sodass das nicht viel Zeit in Anspruch nahm. Sie schaltete ihren Anrufbeantworter ein. Telefone konnte sie auf den Tod nicht ausstehen: eine absolute Unverschämtheit, sie mitten in einem MGM-Traum zu stören. Anschließend kochte sie sich ein warmes Essen – etwas Leckeres und Leichtes und vor allem nichts Knuspriges, damit das Knirschen beim Kauen nicht die Musik übertönte. Zum Schluss zog sie die Vorhänge zu und zündete die sieben Teelichte in ihrem silbernen, sternförmigen Kerzenhalter an.
    Dann ging es los: Wenn die Musik einsetzte, sank Claudie in ihre Samtkissen, eine Schüssel mit weich gekochten Nudeln in der Hand, und begrüßte lächelnd ihre Helden auf der Leinwand – sie fühlte sich erregt, belebt, wehmütig und optimistisch. In solchen Augenblicken wünschte sie sich von Herzen, ihre Mutter hätte sie als kleines Mädchen in die Ballettschule oder zum Stepptanzunterricht geschickt, damit sie mitmachen könnte, wenn die drei Paare durch die Straßen von New York tanzten. Sie wünschte, sie hätte eine ausgebildete Stimme, damit sie ihr ganzes Herz in die wunderbaren Songs von Leonard Bernstein legen könnte. Aber mehr noch als alles andere wünschte sie, sie könnte in die Welt des jeweiligen Films eintauchen. Sie würde nicht einmal eine Hauptrolle beanspruchen – sie war keineswegs maßlos –, sie wollte nur Teil dieser bunten, glücklichen Szenerie sein, in dieser sicheren, wundersamen Welt leben, wo die Menschen ihrer Liebe singend und tanzend Ausdruck verliehen. Wo niemand starb.
    Wenn der Film zu Ende war und der Abspann lief, fühlte sich Claudie jedes Mal so, als würde sie aus einem köstlichen Traum erwachen: Es war wie dieses langsame Auftauchen aus den Tiefen des Unterbewusstseins, bis einen das helle Tageslicht wieder in die kalte Realität zurückkatapultierte.
    Es war ein äußerst seltsames Gefühl: als hätte sie ihren Körper vorübergehend verlassen und könnte sich nicht recht daran gewöhnen, wieder in ihre eigene Haut zu schlüpfen. Die Wirklichkeit streckte bereits ihre Finger aus, um sie der Musicalwelt zu entreißen, doch Claudie wusste, dass sie immer und immer wieder dorthin zurückkehren konnte. Sie war in der Lage, die reale Welt zu verlassen, vielleicht nicht dauerhaft, aber zumindest für ein paar Stunden.
     
    Nach einem solchen Wochenende in der Glückseligkeit von Die oberen Zehntausend, Singin’ in the Rain und Brigadoon, den Kopf voll mit heiteren Songtexten und munteren kleinen Tanzschritten, kam Claudie am Montagmorgen ins Büro. Auf dem Weg die Treppe hinauf probierte sie sogar ein paar Steppschritte, aber in ihren spitzen Schuhen mit den schmalen Absätzen erwies sich das als ziemlich halsbrecherisches Unterfangen.
    Sie rieb sich ihr schmerzendes Fußgelenk. Für die Rolle der Fiesta-Tänzerin in Ein Bandit zum Küssen war sie einfach nicht zu gebrauchen. Andererseits, so tröstete sie sich, wäre Cyd Charisse nicht nur mit dem Arbeitspensum, das Mr Bartholomew ihr in Form von stapelweise Akten aufbürdete, völlig überfordert, sondern auch mit seiner unleserlichen Handschrift und seinen unvorhersehbaren Stimmungsschwankungen.
    Ebenso wenig wie Dr. Lynton hatte Mr Bartholomew Claudie jemals angeboten, ihn beim Vornamen zu nennen, doch sie wusste, dass er George hieß. Der Name war zwar nicht sonderlich inspirierend, aber passend.
    »Morgen!«, flötete Claudie, als sie das Büro betrat, setzte sich schwungvoll auf ihren Schreibtischstuhl und schaltete ihren Computer ein, als wäre ihr Finger ein Zauberstab.
    »Du hast ja richtig gute Laune«, bemerkte Kristen. »Hattest du ein schönes Wochenende?«
    »Das kann man wohl sagen.«
    »Lass mich raten – Warner Brothers?«
    Claudie schüttelte den Kopf. »Zu ernst.«
    »RKO?«
    »Nicht farbenprächtig genug.«
    »Dann kann es nur –« Kristen zögerte, »– MGM gewesen sein.«
    »Volltreffer!« Claudie lachte. »MGM – die betörendsten Buchstaben des Alphabets!«
    »Gott, Claudie, du hast doch nicht etwa schon wieder das ganze Wochenende damit zugebracht, dir alte Musicals anzusehen?«
    »Nein, nicht das ganze Wochenende. Ich habe auch die Biografie von Doris Day noch mal gelesen.«
    »Claudie, du solltest wirklich ein bisschen mehr unter die Leute gehen.«
    Claudie lachte wieder. Sie hatte das alles schon oft genug gehört und es längst aufgegeben, darauf einzugehen.
    »Kaffee?«, fragte Kristen.
    »Ja, bitte.«
    Kristen verschwand im
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