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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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like on Jupiter and Mars. In other words, hold my hand. In other words …», stimmte der Sänger im Radio nach einem endlosen Intro das nächste Stück an.
    Bugsie fiel sofort in den Text ein, erstaunlich gut, wie mir auffiel. Der unglaublich fette Bugsie, der zwischen den Sternen herumhüpft und nach dem Frühling auf dem Mars sucht! Händchenhaltend mit einer Marsianerin. Ich musste grinsen.
    «… baby kiss me …»
    Geh einfach ein paar Meter nach hinten, dachte ich, geh ein paar Bänke weiter und frag ihn, irgendwas, ob er dir bei Mathe helfen kann oder woher er die coole Umhängetasche mit dem Vogel drauf hat oder was auch immer.
    «Buzz und die anderen haben das vom Mond runtergespielt, echt, kannste glauben», plapperte Bugsie, «achtundsechzig war das, im Juli. Mann, hab ich an dem Tag geschwitzt, da war ich neu bei denen hier.» Er schlug aufs Lenkrad.
    «Neunundsechzig», hörte ich hinter mir die Stimme von Felix. Zum zweiten Mal an diesem Abend jagte er mir einen Schrecken ein. Er stand direkt hinter mir, lehnte einen Unterarm auf das Kopfteil der Sitzlehne. «Es war 1969 .»
    «Klugscheißer», knurrte Bugsie. Er griff nach einem Becher und schüttete sich aus einer Thermoskanne Kaffee ein. Das Lenkrad fixierte er mit seinem dicken Bauch. «Auch ’n Schluck?», fragte er, aber ich lehnte mit einem Lächeln ab. Felix bot er nichts an.
    Bugsie ächzte beim Versuch, die Kanne auf die Ablage rechts vor mir zu stellen. Vielleicht waren im Laufe des Tages seine Fettwulste den entscheidenden halben Zentimeter gewachsen. Er ruckte noch einmal nach vorne, verriss das Lenkrad ein kleines bisschen, aber das reichte aus.
    Das rechte Vorderrad rutschte von der Straße, deren Randstreifen im Winter durch den Frost an vielen Stellen abgebröckelt war. Bugsie reagierte schnell, er krallte sich am Lenkrad fest. Die Kanne schepperte über die Ablage, sprang auf und ergoss ihren Inhalt auf eine alte Ausgabe der BILD . Ein Politiker spendete seiner Frau eine Niere, das fiel mir noch ins Auge, bevor der Bus ganz abrutschte.
    «Scheiße», zischte Bugsie.
    «Alter», brüllte Felix.
    «I wanna wake up in a city that never sleeps», tönte das nächste Lied aus dem Lautsprecher.
    Der Bus kippte zur Seite. Ganz langsam.
    Bugsie rutschte hinter dem Lenkrad hervor, klammerte sich mit einer Hand an den Schaltknüppel, kullerte dann aber die drei Stufen zur Tür hinunter. Sein wuchtiger Körper riss die Kasse, aus der er gewöhnlich das Kleingeld in eine kleine Schale klimpern ließ, mit.
    Ich konnte mich seitwärts abstützen, glitt jedoch an der beschlagenen Scheibe, auf die ich mit beiden Händen patschte, ab. Meine Stirn titschte nur ganz zart ans Glas, weh tat es trotzdem.
    Felix verlor das Gleichgewicht, wie in Zeitlupe sah ich ihn auf mich zusegeln. Ich wurde gegen die Scheibe gequetscht. Sein Schlüsselbein drückte in meine rechte Brust, und seine Locken kitzelten meine Wange, meine Nase, meine Lippen. Ich saugte die Luft durch die Nase. Limonen. Er benutzte ein Shampoo mit Limonenduft.
    Es roch gut. Und es tat gut. Es war ein ganz neues Gefühl, das dieser Geruch auslöste. Ich würde noch ein paar Nasen mehr davon brauchen, um es endgültig zu beurteilen.
    Ein paar Herzschläge lang war es ganz still. Nur die Wischblätter schrappten über die Frontscheibe. Felix machte keinen Versuch, von mir runterzuklettern. Auf einmal konnte ich nicht anders. Lachen, ich musste lachen, schallend lachen. Vielleicht, weil Bugsie mit ausgestreckten Beinen auf dem Rücken lag und sich nicht wieder zurückschwingen konnte.
    Bevor der Busfahrer fragen konnte, ob uns etwas passiert sei, steckte ihn mein Lachen an. Er prustete, versuchte, es zu unterdrücken, aber dann platzte es auch aus ihm heraus.
    «Mann, du bist vielleicht eine coole Socke», flüsterte Felix und rappelte sich auf.
    «If I can make it there, I’ll make it anywhere», klang es aus dem Radio.
    «Gehen wir zu Fuß?», fragte Felix, als wir Bugsie auf die Beine gestellt und durch die Tür auf der Fahrerseite aus dem gestrandeten Wrack geklettert waren.
    Ich nickte.
    «Auf keinen Fall», mischte Bugsie sich ein. «Ihr müsst die Polizei und den Krankenwagen abwarten.»
    «Herr Buggendorp! Sehen wir so aus, als bräuchten wir einen Krankenwagen?», fragte Felix.
    Fly me to the moon, dachte ich.
    Wir hatten noch mehr als zwei Kilometer vor uns, es regnete, und wenn ich ehrlich war, pochte es in meinem linken Handgelenk ziemlich unangenehm. Andererseits hatte ich jetzt
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