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Unsere schoenen neuen Kleider

Unsere schoenen neuen Kleider

Titel: Unsere schoenen neuen Kleider
Autoren: Ingo Schulze
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DDR ihr Ende fand, ist selten in der Historie. Dass ein so hochgerüsteter und auf scheinbar alle Eventualitäten vorbereiteter Apparat sich letztendlich beiseiteschieben ließ, ohne wild um sich zu schießen, ist ein Glücksfall.
    Indem aber die DDR -Oberen den Staat – womöglich im Glauben, dabei ihre eigene Haut zu retten – wie eine heiße Kartoffel fallen ließen, haben sie selbst noch in ihrem Abgang der Demokratie und Selbstbestimmung einen schlechten Dienst erwiesen.
    Egon Bahr hat in einer Rede davon berichtet, wie er Egon Krenz gefragt habe, warum dieser, wenn doch die Öffnung der Grenze beschlossene Sache gewesen sei, nicht zum Telefon gegriffen, Kohl angerufen und ihn eingeladen habe, mit ihm zusammen den Schlagbaum zu öffnen. Statt ein paar Jahre Knast hätte er vielleicht sogar das Bundesverdienstkreuz bekommen. Darauf Krenz: Er habe nicht gewusst, wie er Kohl hätte erreichen sollen.
    Ich glaube, dass diese Geschichte stimmt. Und selbst wenn sie nicht ganz stimmen sollte, ist sie trotzdem wahr. Die DDR -Führung hatte, wie wir früher sagten, kein Format. An entscheidender Stelle gab es niemanden, der eigenständig hätte handeln können und einen Blick für die Konsequenzen, für die Zukunft gehabt hätte. Wer aber sollte so einen Staat noch ernst nehmen, dessen Grenzöffnung sich einem Unfall, ach, nicht mal, einem simplen Missverständnis zu verdanken schien.
    Helmut Kohls Coup war die Umarmung der DDR -Blockpartei CDU . Eigentlich hätte diese Verbrüderung mit den ausgewiesenen Opportunisten undenkbar sein müssen. Wenn die Ost- CDU überhaupt eine Rolle im Herbst 89 gespielt hat, dann eine unangenehme. Sie waren die Liebediener des Systems und attackierten Ansätze von Widerstand hinterrücks, zum Beispiel bei Kirchentagen. Da Kohl keinerlei Skrupel hatte, aus der Übereinstimmung der Namen auch eine Übereinstimmung in der Sache zu machen, gab es plötzlich, von einem Tag auf den anderen, eine Sirupspur in den Westen. Die Botschaft lautete: »Wählt ihr die, wählt ihr mich.« So entschied Kohl in wenigen Tagen den Ausgang der Wahl. Gegen das Versprechen »Wohlstand über Nacht!« war kein Kraut, schon gar kein Argument gewachsen. Und das Kalkül ging auf. Die eben erst errungene Macht wurde nun von den frei gewählten ostdeutschen Volksvertretern den Beamten in Bonn überantwortet. Diese wiederum machten Kredite von einer Aufgabe der Souveränität abhängig. Auch wenn die Namen der Beamten, die ein politisch gewolltes Vorhaben theoretisch auszuarbeiten und praktisch umzusetzen haben, in aller Regel nichts zur Sache tun, seien sie in diesem Fall doch genannt: Der im Bundesfinanzministerium von Theo Waigel mit den Vorbereitungen einer Währungsunion schon seit Anfang Januar 1990 beauftragte Staatssekretär hieß Horst Köhler. Und der Abteilungsleiter, der von Ende Januar an eine Arbeitsgruppe leitete, »die das Angebot einer Währungsunion so schnell wie möglich konkretisieren soll«, hieß Thilo Sarrazin. »Tatsächlich hat die Bundesregierung der DDR die D-Mark angeboten, bevor sie in Ostdeutschland nachdrücklich auf der Straße gefordert wurde.« 1 »Wir bezahlen alles, also bestimmen wir alles«, formulierte Sarrazin die Bonner Devise, nachzulesen in seinem Beitrag für das 1994 von Theo Waigel und Manfred Schnell herausgegebene Buch Tage, die Deutschland und die Welt veränderten .
    Die Zeit einer Demokratie, in der Geld und Besitzstände kaum eine Rolle spielten und in der es möglich gewesen war – wenn auch nicht einfach, wenn auch oft genug verhindert –, in Betrieben, Schulen, Universitäten oder Theatern jene zu wählen, die man sich als neue Chefs wünschte, war vorbei.
    Die Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 bedeutete das Todesurteil für die ostdeutsche Industrie. Dieselben Löhne, die die Betriebe im Juni in Ostmark ausgezahlt hatten, sollten im Juli in D-Mark ausgezahlt werden. Der wirtschaftliche Kollaps war programmiert. Nahezu alle Betriebe standen vor dem Ruin. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem eine ganze Volkswirtschaft auf den Markt geworfen wurde. Dabei ist es unzulässig euphemistisch, von »Markt« zu sprechen. Die lukrativsten Teile wurden unter der Hand verhökert, missliebige Konkurrenz nicht ins Land gelassen und selbstständige Gehversuche im Osten mit administrativen Mitteln unterbunden. Es lohnt sich, die Geschichte der Treuhand noch einmal näher anzusehen. Deutsche Vorzeigeunternehmen wie die Deutsche Bank, die Allianz oder die Lufthansa
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