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Unsere Claudia

Unsere Claudia

Titel: Unsere Claudia
Autoren: Berte Bratt
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und gar aus der Haut gefahren vor Wut, daß Evi richtige Haue gekriegt hat… und dann die ganzen Weihnachtstage über Stubenarrest.“
    „Du – du meinst doch nicht im Ernst, daß er sie verdroschen hat?“
    „Doch, das meine ich, denn das hat mir ihre Schwester erzählt. Stubenarrest für ihre Faulheit, und die Dresche für den geöffneten Brief.“
    Claudia sann nach und zog die Stirn in Falten.
    „Ich finde es grausig, wenn ein Vater seine Kinder haut“, sagte sie langsam. „Aber, ehrlich gesagt, wenn er es eines Tages tun muß, dann wegen des verletzten Briefgeheimnisses. Denn das ist doch das Gemeinste, was es gibt.“
    „Ja – ja schon –, aber er hätte doch immerhin mit ihr reden können – und ihr erklären können – es so erklären können, daß sie verstand, wie schlimm es war – und dann Strich drunter, anstatt sie erst zu verhauen und dann der ganzen Familie das Weihnachtsfest zu verderben…“
    Claudia schwieg eine Weile. Dann sagte sie langsam: „Manchmal bin ich doch richtig froh, daß bei uns nur Mutti und ich da sind. Und daß wir es so gut miteinander haben. Daß keiner da ist, der unser Weihnachtsfest verdirbt.“
    „Jetzt mach aber mal ‘n Punkt“, fuhr Elsa auf. „Denkst du etwa, mein Vater verdirbt uns was? Vati ist so lieb und gut wie – “
    „Na, so meinte ich es doch gar nicht“, besänftigte Claudia ihre Freundin. „Du hast aber auch Glück, daß du so einen guten Vater hast! Ich meine nur, ich möchte lieber keinen Vater haben als einen, der so streng ist und so leicht wütend wird, daß ich die ganze Zeit Angst vor ihm haben müßte!“
    „Es muß doch komisch sein, wenn man seinen Vater nie gekannt hat“, sagte Elsa sinnend.
    „Ja, es ist auch sonderbar, wenn ich so darüber nachdenke. Aber das kommt nur selten vor. Ich bin ja so daran gewöhnt, mit Mutti allein zu sein.“
    „Warst du denn so klein, als dein Vater starb?“
    „Ich war noch gar nicht geboren. Papa war Erster Offizier, und er war auf großer Fahrt, und da ging das Schiff unter – und Mutti bekam das Telegramm, während sie dasaß und ein Babyhemdehen nähte… es war einen Monat, bevor ich zur Welt kam…“
    „Wie entsetzlich für deine Mutter!“
    „Ja, es muß entsetzlich gewesen sein!“
    „Aber jetzt sieht deine Mutter doch immer riesig vergnügt und zufrieden aus!“
    „Man läuft doch auch nicht so viele Jahre herum und trauert“, sagte Claudia nachdenklich. „Und Mutti und ich, wir haben uns doch beide, sieh mal – “
    Claudia unterbrach sich selbst. Es tauchte plötzlich aus der Tiefe ihres Unterbewußtseins etwas auf – eine kleine Unruhe, so etwas wie eine leise Ahnung –, etwas, das sie selbst nicht benennen konnte, das sie mit aller Macht verdrängte, woran sie unter keinen Umständen denken wollte… Sie stand plötzlich auf.
    „Jetzt hat der Teig mindestens eine Stunde gestanden, Elsa! Wir müssen mit dem Ausstechen anfangen!“
    „Aber Claudia!“ Mutti stand in der Tür und schnupperte den guten Kuchenduft ein.
    Claudia war rot und aufgeregt und glücklich.
    „Sieh nur, Mutti!“
    Mutti sah. Zwei große Schüsseln voller goldener Mandelplätzchen standen auf dem Küchentisch. Und Claudia glühte vor Stolz.
    „Mein Kind – Mutters großes Mädchen –, gar nicht auszudenken, daß wir in diesem Jahr selbstgebackene Plätzchen haben –, ich bin so stolz auf dich, Kleines…“
    „Fragt sich nur, wie lange der Stolz anhält“, lachte Claudia. „Ich habe heute einen Brief von der Schule mitbekommen – er liegt auf dem Schreibtisch…“
    „Du einen Brief?“ sagte die Mutter ungläubig, genauso wie Elsa. „Da bin ich aber gespannt, das muß ich sagen. Du bist doch nicht etwa naseweis gewesen oder hast gemogelt oder…“
    Plötzlich schoß eine heiße Röte in Claudias Wangen. Gemogelt. Das mußte es sein. Sie hatte einmal in der vorigen Woche Evi ihre Rechenaufgaben zum Abschreiben gegeben – das war natürlich nicht recht, aber Evi tat ihr so leid, natürlich, das mußte es sein, natürlich war es herausgekommen, wie hätte Evi sonst alle Aufgaben richtig haben können!
    „Du, Claudia, Claudia“, schmunzelte die Mutter. Sie stand am Schreibtisch mit dem offenen Brief in der Hand. „Was soll ich jetzt mit dir machen?“
    Muttis Stimme klang nicht die Spur ärgerlich. Eher freudig überrascht, aber auch etwas besorgt. „Was ist denn, Mutti…“
    „Du bist so faul und so naseweis und so unausstehlich, daß man dich zwei Klassen tiefer setzen will“,
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