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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Autoren: Gabor Steingart
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es dann auch: Der Ausbeuter wurde ein ökonomischer Feudalherr, der den Arbeiter als Untertan und jeden Widerspruch als Majestätsbeleidigung verstand. Der Volksmund sprach folgerichtig von » Industriefürsten « oder, herzhafter noch, von » Räuberbaronen « . Die Freiheit, die die Kapitalisten meinten, war nicht die Freiheit der anderen. Der Wohlstand, dem sie zustrebten, war ein Wohlstand nur für wenige. Die Wirtschaftsordnung dieses Ur-Kapitalismus konnte das Wölfische in ihrem Gencode nie verleugnen.
    Der Marktwirtschaftler ist von anderer, deutlich friedlicherer Natur. Er ist der aus dem Wolf hervorgegangene Haushund. In einem langen Evolutionsprozess hat er sich durchgesetzt. Über die Wendeltreppe der Irrtümer führte der Weg zu Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie.
    Wie der ihr vorhergehende Kapitalismus ist aber auch die marktwirtschaftliche Ordnung womöglich nur eine temporäre Erscheinung. Denn wie die Evolution der Tiere und Pflanzen kennt auch die Wirtschaft keinen Endzustand. Alles Gegenwärtige wird durch den Lauf der Zeiten wieder in Frage gestellt. Dennoch bilden sich von Zeit zu Zeit Systeme heraus, deren Aggregatzustand fester und stabiler erscheint, deren Ablösung keineswegs wünschenswert ist. Die Soziale Marktwirtschaft gehört dazu. Sie ist nicht die Krönung der Entwicklung, kein Paradies auf Erden, sie verdient keine götzenhafte Verehrung. Aber sie ist das Beste, was die Evolutionsgeschichte der Wirtschaft den Menschen bisher zu bieten hatte. Es lohnt sich für sie, den Willen zu mobilisieren.
    Das nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und Amerika durchgesetzte Leitbild der marktwirtschaftlichen Ordnung folgt der Idee von der Freiheit. Schon das ist bemerkenswert. Die Marktwirtschaft blickt nicht mehr auf den Untertan, sondern schaut auf den selbstbestimmten Bürger. Auf den Märkten, jenen Orten, an denen Anbieter und Nachfrager, Bedürftige und Begünstigte, Gebildete und solche, die es erst noch werden wollen, zusammentreffen, sollen sie ihre Freiheit ausleben dürfen. Der Einzelne kann zur angebotenen Ware Ja, Nein oder gar nichts sagen. Die Marktwirtschaft ist kein Beherrschungsvertrag, sondern ein Koordinierungsvorgang zwischen freien Menschen. Der Marktwirtschaftler will nicht andere berauben, sondern anderen nützlich sein.
    Die heutigen Marktwirtschaftler sind vor allem Pragmatiker. Sie wollen den friedlichen Wettbewerb, die Kooperation zwischen Kapital und Arbeit, und sie glauben nicht an die natürliche Neigung des Systems zum Selbstausgleich. Sie streben eine über den Preis vermittelte Harmonie an, wo der eine gibt, was der andere braucht. Aber sicherheitshalber hat der Marktwirtschaftler Institutionen erschaffen, die diese romantische Idee auch bewachen.
    Die Marktwirtschaft, das zeichnet sie aus, nimmt den Menschen, wie er ist. Sie sieht im Innersten der Welt ein Prinzip wirken, das auf Freiheitsdrang und Entfaltungssehnsucht beruht, das den Trieb nach Wohlstandsvermehrung zugleich fördert und begrenzt, das um das menschliche Bedürfnis nach und die Befähigung zur Anteilnahme mit anderen weiß. Die Marktwirtschaft strebt eine Fortschrittsmechanik an, die in kleinen Schritten in Richtung eines guten Lebens voranschreitet. Deshalb wurde zwar nicht das Glück selbst, wohl aber » das Streben nach Glück « in der Verfassung der USA als Grundrecht jedes Menschen festgeschrieben.
    Es gibt keine für alle gültige Vorstellung vom guten Leben. Man kann daher mit gutem Grund behaupten, der Marktwirtschaft fehle das Großformatige oder Großartige. Aber: wenn der tschechische Intellektuelle und einstige Berater von Václav Havel Tomá Š Sedlá Č ek die zwei menschlichen Urängste richtig beschrieben hat – die Angst vor dem Animalischen, dem Triebhaften, und die Furcht vor dem Maschinellen, dem Roboterhaften –, dann muss die Marktwirtschaft sich hier nicht angesprochen fühlen. Beide Ängste sind ihr wesensfremd. Sie kennt nicht den einen großen Durchbruch, nur die vielen kleinen. Und in ihrem Innern wirken Menschen, nicht Maschinen. Sie will, das ist das Romantische an ihr, ein Gleichgewicht herstellen, einen Ausgleich zwischen Anbietenden und Nachfragenden. Während der Kapitalist vom Endsieg träumt, strebt der Marktwirtschaftler nach Balance.
    Die Marktwirtschaft besitzt die sozialen Techniken, die dem Kapitalismus zeitlebens fehlten. Letzterer glaubte an die Beherrschung der Natur, die Allmacht der Naturwissenschaften, an Dampfmaschine, Hochofen und
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