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Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)

Titel: Unser Wohlstand und seine Feinde (German Edition)
Autoren: Gabor Steingart
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Kampf um Lebensraum und Nahrung. Der Haushund – canis lupus familiaris – ist hingegen eine domestizierte Unterart des Wolfes. Er will dem Menschen nah und nützlich sein. Wolf und Hund entspringen zwar demselben Genpool, aber die Evolution hat sie einander entfremdet.
    Der Kapitalist ist der Wolf der Weltwirtschaftsgeschichte. Auch wenn er in verschiedenen Weltgegenden in unterschiedlicher Ausprägung in Erscheinung tritt – so wie der Wolf als Polarwolf in Sibirien, als Buffalo-Wolf in den Rocky Mountains oder als Eurasischer Wolf in China –, so sind die Ähnlichkeiten der Kapitalisten in China, Russland, den USA und bei uns doch stets größer als die Unterschiede. Das von ihnen hervorgebrachte System ist totalitär, weil die ökonomischen Beziehungen allen anderen Beziehungen ihren Stempel aufdrücken.
    Der Kapitalist ist ein Wesen, das einzeln oder im Rudel auftritt, vornehmlich um Beute zu machen. Bei aller Wohlerzogenheit, die nach Bedarf vorgezeigt werden kann, interessiert ihn doch vor allem eins: der Profit. Zuweilen tritt das Raubtierhafte seines Charakters deutlich zu Tage, wie wir mit einem Blick in die Chicagoer Schlachthöfe des 19. Jahrhunderts oder zu den 1,2 Millionen Arbeitern der heutigen Firma Foxconn, die in Südkorea unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen das iPhone von Apple zusammenkleben, erkennen können.
    Die Spezies des Kapitalisten ist, da hilft keine Beschönigung, inhuman und von Gier gesteuert, auch wenn die Fabrikanten der Frühzeit uns mit dem Gebetbuch in der Hand und feiner Kleidung am Leib zu täuschen versuchten. Aber der Wolf bleibt ein Wolf, auch wenn er den Frack anzieht.
    Im Zentrum des Denkens und Handelns dieser Spezies steht seit jeher das Geld, wie uns das Wort » Kapitalismus « ohne Umschweife mitteilt. Und die Überhöhung zum » Ismus « deutet darauf hin, dass wir uns im Tempel der Heilslehren befinden, wo eine Tapetentür immer auch zum Fanatismus führt. Hier wird Profitverherrlichung in all seiner Einfältigkeit gepredigt.
    Kein zweiter Autor hat die frühe Morgenstunde des Kapitalismus vergleichbar einprägsam überliefert wie der Fabrikantensohn Friedrich Engels. Das » Geldmachen ist die Sonne, um die sich alles dreht « , schrieb er in seinem Werk » Die Lage der arbeitenden Klasse in England « . Und weiter:
    » Mir ist nie eine so tief demoralisierte, eine so unheilbar durch den Eigennutz verderbte, innerlich zerfressene und für allen Fortschritt unfähig gemachte Klasse vorgekommen wie die englische Bourgeoisie. Für sie existiert nichts in der Welt, was nicht nur um des Geldes willen da wäre, sie selbst nicht ausgenommen, denn sie lebt für nichts, als um Geld zu verdienen, sie kennt keine Seligkeit als die des schnellen Erwerbs, keinen Schmerz außer dem Geldverlieren. Und wenn der Arbeiter sich nicht in diese Abstraktion hineinzwängen lassen will, wenn er sich einfallen lässt zu glauben, er brauche sich nicht als Ware im Markte kaufen und verkaufen zu lassen, so steht dem Bourgeois der Verstand still. «
    Man wünschte, Engels hätte ins Polemische überdreht. Aber das hat er nicht. Der Kapitalismus seiner Zeit war im Kern ein Beherrschungsvertrag der Wirtschaft über die Gesellschaft. Auf dessen strikter Einhaltung haben die Unternehmer der frühen Stunde bestanden. Das Versprechen von Reichtum und die Drohung mit Armut lösten sie mit unbarmherziger Pünktlichkeit ein.
    Wenn Bundespräsident Joachim Gauck heute sagt, der Mensch sei nicht primär durch seine Rolle im Wirtschaftsleben bestimmt, kann er den Menschen des Ur-Kapitalismus nicht gemeint haben. Denn der war zuerst und vor allem anderen durch seinen Rang im Machtgefüge des Produktionsapparates bestimmt. Die große ökonomische Prägemaschine hielt ihn zeitlebens zwischen ihren Pressbacken gefangen. Da zappelte er und funktionierte, wie es die Maschine für ihn vorsah. Und wenn er wirtschaftlich überflüssig oder nicht mehr ausreichend effektiv war, ließ man ihn auf den Boden plumpsen. Sollte er doch sehen, wie er klarkam. Armut und Armseligkeit galten als der angemessene Lohn für Lebensleistung.
    Der Kapitalist war sich keiner Schuld bewusst. Er orientierte sich am Feudalstaat, der ihn hervorgebracht hatte. An der Wiege des Kapitalismus standen nun einmal Könige, Fürsten und Klerikale. Das Wort » Demokratie « war noch nicht in aller Munde.
    So schwebte denn dem frühen Fabrikanten ein Feudalismus ohne Geburtsnachweis vor, in dem der Fabrikherr der neue König war. So geschah
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