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Unser Sommer in Georgia

Unser Sommer in Georgia

Titel: Unser Sommer in Georgia
Autoren: P Henry
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sie eine Boje unter Wasser drücken. Ihre inneren Bilder von Mack waren so lebendig und vollständig wie eh und je. Warum nur hatte sie geglaubt, diese Eindrücke würden vergehen, bloß weil sie sich nicht damit befasste? Das war ja, als würde man sich einbilden, ein ganzes Land existiere nicht, bloß weil man nie dort gewesen war.
    Während ihrer gesamten Kindheit hatte das Driftwood Cottage der Familie Logan als Ferienhaus gedient. Nie wäre Riley auf den Gedanken gekommen, dass es eines Tages ihr eigenes Zuhause werden könnte. Doch nun wohnte sie schon seit zwölf Jahren hier - seit der Geburt ihres Sohnes Brayden. Seitdem drehte ihr ganzes Leben sich um das Kind und den Buchladen. Sie hatte sich auf die praktischen, notwendigen Dinge des Alltags konzentriert. Ihre einzige Ablenkung waren die Romane, die sie verschlang.
    Es klopfte, und Riley schrak auf. »Ja?«, rief sie.
    »Rileyschatz?«, rief Ethel Larkin, die die Kasse bediente.
    Als Riley die Tür öffnete, streckte Ethel ihr das schnurlose Telefon entgegen. »Das ist Harriet, sie ruft von deiner Mutter aus an.«
    Riley lächelte. Die herzensgute Ethel hatte von Anfang an im Laden mitgearbeitet. Ihre winzige Gestalt war immer in helle, weite Kleidung gehüllt, und das weiße Haar türmte sich auf ihrem Kopf wie ein Wattebausch. Ethels Sarkasmus und Witz bewahrten Riley stets davor, sich selbst oder ihre Probleme allzu ernst zu nehmen. Zu Ethels vielen Eigenheiten gehörte auch, dass sie Tag für Tag weiße Handschuhe trug. Sie gestikulierte beim Sprechen, um ihre Worte zu unterstreichen. Es war Riley ein Rätsel, ob Ethel wusste, dass ihre Handschuhe - ein Paar wie das andere - schmutzig waren und einige auch verschlissen. Sie hatte Ethel nie danach gefragt - es gehörte zum Geheimnisvollen der alten Dame und des Buchladens.
    Im Moment hielt Ethel sich die weiß behandschuhte Linke an die Wange; ihre Augen waren groß vor Sorge.
    »Harriet sagt, deine Mama ist gestürzt.«
    Riley schloss die Augen. Nein, Mama, nicht, flüsterte sie in Gedanken.
    Vor sechs Jahren war ihr Vater gestorben, und diese Wunde schmerzte immer noch.
    Riley griff nach dem Telefon. »Hallo?«
    Sie warf einen Blick in den Eingangsflur in der Hoffnung, die Matriarchin der Sheffields hereinmarschieren zu sehen. Das Abendlicht fiel auf die Bodendielen. Eine junge Frau und ein kleines Mädchen mit Rattenschwänzchen spazierten zwischen den Regalen umher. Nein, jetzt würde Mama nicht kommen - es war Martinizeit. Was konnte denn bloß in der Martinizeit passiert sein?
    Harriet Waters, seit vierzig Jahren Haushälterin bei den Sheffields, sagte mit zitternder Stimme: »Ach, Riley, deine Mama ist die große Treppe runtergefallen. Ich musste den Krankenwagen rufen, weil ich sie nicht wachrütteln konnte. Der Wagen hat sie gerade ins Krankenhaus mitgenommen ... Als der Notarzt hier ankam, war sie wieder zu sich gekommen. Sie ist schrecklich böse, weil ich um Hilfe gerufen habe, aber was sollte ich denn machen? Sie hat da unten an der Treppe gelegen wie ein Häufchen Elend, mit verdrehten Augen ... Sollte ich sie denn einfach da liegen lassen und ...« Harriet verhaspelte sich.
    »Jetzt mal langsam!« Riley suchte Halt an der Schreibtischkante und bemühte sich, Harriets Worte zu verstehen.
    Harriet redete weiter: »Deine Mama ist jetzt im Krankenwagen in die Klinik unterwegs. Noch bei der Abfahrt hat sie mich beschimpft und mit den Armen gerudert, als wollte sie mich am liebsten in den Hintern treten. Ich bin noch bei euch zu Hause, aber die sind losgefahren ... weg.«
    Riley lehnte sich gegen den Schreibtisch. »Ist sie vor oder nach den Martinis gestürzt?«
    »Danach. Ich hab ihr immer gesagt, sie soll nicht mit hohen Absätzen im Haus rumlaufen, aber sie hört ja nicht auf mich.«
    Bedrückt dachte Riley daran, dass ihre Mutter immer noch versuchte, den eleganten Lebensstil ihrer Ehejahre beizubehalten. Um fünf Uhr nachmittags zog sie sich für die Cocktails um, abends um acht dann für das Dinner - aber ohne Ehemann.
    »Ich fahre so schnell wie möglich ins Krankenhaus«, erklärte sie der Haushälterin.
    Sie legte auf und schaute Ethel über die Ladentheke hinweg an. »Ich muss in die Klinik. Kannst du Brayden im Auge behalten?«
    »Selbstverständlich«, sagte Ethel. »Ist mit deiner Mama alles in Ordnung?«
    Riley zuckte die Achseln. »Das werde ich gleich sehen.« Sie schnappte sich den Autoschlüssel und warf über die Schulter noch einen Blick auf die Frauen des Lesezirkels, die
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