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Unser Sommer in Georgia

Unser Sommer in Georgia

Titel: Unser Sommer in Georgia
Autoren: P Henry
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wenn Sie später bedauern würden, dass die übrige Einrichtung nicht so schön ist wie der neue Sessel.«
    Mrs Findle nestelte an der Kette ihres Chaneltäschchens herum. »Na ja, vielleicht bloß die Lampen, denn meine sind aus dunklem Holz.«
    »Ja, wunderbar, fangen wir doch damit an!«
    Während Maisy zu einer Kristallleuchte hinüberging, deutete sie auf weitere Gegenstände, die Mrs Findles Schlafzimmer zu dem heiteren Aussehen verhelfen würden, das sie sich wünschte.
    Mrs Findle blieb neben einer überdimensionierten Ottomane stehen. »Glauben Sie, dass die hier für meinen Sessel zu groß ist?«
    »Nein, bestimmt nicht.«
    »Sie haben einen ganz reizenden Akzent«, bemerkte Mrs Findle unvermittelt. »Wo kommen Sie her? Ich wollte Sie schon immer mal danach fragen.«
    »Aus Georgia, aus einer kleinen Küstenstadt.« Maisy hatte festgestellt, dass die Frauen hier in Südkalifornien eine romantische Vorstellung von Südgeorgia hatten, die der Wirklichkeit kaum entsprach. In ihrer ersten Zeit in der Beach Boutique hatte sie versucht, ihre Herkunft zu verbergen, bis ihr klar wurde, dass es von Vorteil war, »aus dem Süden« zu sein. Sie nahm ihren Akzent wieder an, damit die Frauen sich ausmalen konnten, sie stamme aus einer Welt von vor dem Bürgerkrieg, wo die Uhren langsamer tickten und das uralte Lied von der Gastfreundschaft des Südens säuselnd durch Nächte voller Jasminduft schwebte.
    Das war natürlich reine Phantasie. Das Küstenstädtchen im Süden, in dem Maisy aufgewachsen war, war eigentlich ein gottverlassenes Nest. Nur in den Sommermonaten, wenn die »Sommergäste« kamen, war dort etwas los. Allein der öde Heimatort hätte schon ausgereicht, um Maisy in den Wahnsinn zu treiben. Wenn Maisy gefragt wurde, warum sie einmal quer über den ganzen Kontinent gezogen war, erklärte sie, sie habe den Staub der Schotterstraßen und die Strandkletten von ihren Flipflops abschütteln und etwas Neues ausprobieren wollen. Nur sie selbst kannte den wahren Grund, warum sie ihre Heimat verlassen hatte. Nur sie selbst und Tucker Morgan.
    »Maisy, Telefon!«, rief Sheila durch den Laden.
    Mit einem Lächeln drehte Maisy sich um. »Kann ich zurückrufen?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Sheila. »Es klingt ... wie ein Notruf von zu Hause.«
    Maisy fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das jetzt glatt war, nicht mehr »plusterig«, wie ihre Mutter ihr schwieriges Haar immer bezeichnet hatte. Falls dieser Anruf von Mama kam wegen irgendeines künstlich aufgebauschten Dramas, dann musste Maisy ihr sagen, sie dürfe nicht mehr im Laden anrufen. Mrs Findle besaß das Potenzial, ihre beste Kundin seit Monaten zu werden.
    »Ich bin sofort wieder bei Ihnen.« Maisy lächelte Mrs Findle an.
    »Oh, gehen Sie nur! Ich stöbere einfach ein bisschen. Sie haben mich da auf eine Idee gebracht.«
    Maisy nahm das schnurlose Telefon von Sheila entgegen und ging ins Hinterzimmer. Sie trank einen großen Schluck von ihrem kalten Starbucks-Kaffee, der auf dem Tisch stand, und fragte dann: »Na, was gibt's?«
    »Also, erst mal wünsche ich auch dir einen guten Tag, Schwesterherz.« Rileys Stimme klang, als käme sie von der anderen Seite des Erdballs, und wenn es nach Maisy ging, sollte das auch so bleiben. Eifersucht, Zweifel, Schuldgefühle und andere verwirrende Empfindungen - das alles konnte sie nur von sich fernhalten, solange das Georgia, das sie vor zwölf Jahren verlassen hatte, so weit weg zu sein schien wie ein fremder Planet.
    »Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Hab einfach schrecklich viel zu tun. Ist alles in Ordnung?«
    »Nein.« Riley machte eine Kunstpause. »Mama ist die Treppe runtergefallen. Es geht ihr ganz gut, aber ...«
    »Klingt ja wie ein schlechter Film. Mama ist die Treppe runtergefallen? Die ganze Treppe?« Maisy stellte sich die gewundene Vordertreppe vor, die sie so oft hinuntergegangen war, um in die Schule, zu Verabredungen oder zum Figurentanz zu gehen.
    »Ja«, erklärte Riley, »von ganz oben bis nach unten.«
    »Betrunken?«
    Rileys Antwort war ein Schweigen.
    »Hatte sie getrunken, Riley?«, wiederholte Maisy.
    »Wahrscheinlich. Aber deswegen rufe ich nicht an.«
    »Weswegen denn?«
    »Sie hat sich den linken Oberschenkelhals und zwei Rippen gebrochen und sich außerdem das Handgelenk verstaucht.«
    »Hast du nicht gesagt, es geht ihr ganz gut?« Maisy spürte, wie sich aus einem dunklen Winkel ihres Kopfes etwas in ihr Bewusstsein drängte, etwas Unausweichliches, vor dem sie
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