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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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Vergangenheit.
    Roy Hodgson war der nächste, ein weitgereister, fachkundiger Mann. Mit 61 Jahren, in Anzug und Krawatte, verkörperte er das Bild des Gentlemans, weshalb es nicht leicht war, den angemessenen Ernst zu wahren, wenn dieser äußerlich nette, distinguierte Mann in der Halbzeit wie ein Bauarbeiter fluchte: «Wenn wir die
fuckin’
Kopfballduelle nicht
fuckin’
gewinnen, steigen wir
fuckin’
ab!»
    Unter ihm spielte ich wieder und hätte dabei weinen können. Die Schambeinschmerzen ließen nicht nach.
    Schmerzfrei ist ein Profifußballer ironischerweise nur, wenn er offiziell noch als verletzt gilt: in der kurzen Phase zwischen einem Rehabilitationstraining und dem Comeback. Sobald wir wieder mit dem Fußballtraining beginnen, kommt irgendein Ziehen, irgendein Stechen garantiert zurück. Jeden Samstag gehen viele Profis in ein Spiel und wissen, sie können bestimmte Bewegungen nicht ausführen, gewisse Pässe oder Flanken nicht schlagen. Von ihren Schmerzen haben sie niemandem etwas gesagt. Sie glauben, dass ein Profi doch stärker als die Schmerzen sein muss. Sie haben Angst, nicht zu spielen. Denn dann verlieren sie vielleicht ihren Platz im Team, und wer den erst einmal verloren hat, verliert der nicht bald den Vertrag, seinen Platz im Profifußball, sein Leben?
    Ich nahm auch vor dem Spiel bei Newcastle United Ende März 2008 Schmerztabletten und sagte Roy Hodgson, es ginge schon. Wir waren Vorletzter, sieben Spieltage vor Saisonende, wir mussten doch alles geben, um den Abstieg zu vermeiden.
    Es stand 1:0 gegen uns, als Hodgson mich 19 Minuten vor Spielende einwechselte. Ich konnte nicht einmal rennen. Ich humpelte. Bei jedem Schritt brannte es in der Leiste, trotz der Schmerztabletten. Wenn ich den Ball passen wollte, schrie mein Körper, nein, es geht nicht, du kannst mir diese Bewegung nicht zumuten. Ich hatte wirklich geglaubt, es ginge schon.
    Ich hatte wenig trainiert, um das Schambein zu schonen, bei dem vorsichtigen Training waren die Schmerzen erträglich gewesen, also hatte ich wie jedes Wochenende etliche Profis hochgerechnet: Mit Schmerztabletten müsste es im Spiel schon gehen. Und an vielen Wochenenden ging es auch. In Newcastle jedoch schleppte ich mich nun über den Rasen, und bei jedem Sprint schoss mir der Schmerz wie ein Messerstich in die Leiste. Bitte, lass dieses Spiel schnell vorübergehen. Ich war eingewechselt worden, um dem Spiel eine entscheidende Wende zu geben.
    Danach spielte ich nie mehr für Fulham.
    Ich entschuldigte mich beim Trainer, ich fragte ihn in den Wochen danach, was ich besser machen könne, und er sagte mir, es sei schon alles in Ordnung. Er sprach es nie aus, aber ich bin mir sicher, dass Roy Hodgson mir meinen kranken Einsatz in Newcastle nie verzieh. Ich hatte alles für das Team geben wollen. Ihm musste es vorkommen, als habe ich aus dem Egoismus heraus, unbedingt spielen zu wollen, der Mannschaft gewaltig geschadet.
    Wir vermieden den Abstieg, eine neue Saison begann, Sommer 2008, ein neuer Start, redete ich mir zu. Der Trainer verpflichtete zwei neue rechte Außenverteidiger. Ich wusste, was das für mich bedeutete.
    «Wie sieht meine Situation aus, Trainer?»
    «Nun, wir haben neue Leute für deine Position geholt, die sind erst einmal vor dir. Ich weiß deshalb nicht, wie viel du dieses Jahr spielen wirst.»
    Wir waren in England, im Land der Zurückhaltung und Höflichkeit, vielleicht hätte ich Roy Hodgsons Botschaft verstehen müssen. Aber ich ging in Fulham in meine sechste Saison, ich war der dienstälteste Spieler im Verein, ich fühlte: Dies war mein Klub. Vielleicht wollte ich die Botschaft auch gar nicht verstehen.
    So kam sie erst eine Woche vor Beginn der Saison 2008/2009 bei mir an. «Ich weiß nicht, warum du überrascht bist, dass du wegsollst, Moritz», sagte mir unser Geschäftsführer. «Die Liste des Trainers mit den Spielern, die nicht mehr gebraucht werden, gibt es schon seit Beginn der Sommerferien.»
    Zweieinhalb Jahre zuvor hatte ich abgelehnt, als Fulham mir einen Vertrag über vier Jahre anbot. Machen wir lieber nur drei Jahre, hatte ich gesagt; denn wer weiß, vielleicht will ich dann zu einem größeren Klub wechseln, hatte ich gedacht. Jetzt musste ich sehen, dass ich noch irgendeinen Verein fand.
    Ich war nicht der erste Profifußballer, und ich werde nicht der letzte sein, bei dem sich die Lage in kürzester Zeit radikal wendet. Alles in diesem Beruf ist reine Schnelligkeit.
    Nur David, mein Agent, behandelte den
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