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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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anderen Berufen trifft es härter; wenn du wieder gesund bist, wirst du wieder einen Verein finden. Aber vor der niederschmetternden Wucht des folgenden Satzes schützten mich all diese Versicherungen nicht: Ich war arbeitslos.
    Die Freunde sagten, Fußball sei doch nicht alles. Aber das Interessante war, dass sie selber – die Freunde genauso wie die Öffentlichkeit – mich nur als Fußballer betrachteten. Ich war verletzt, ich war arbeitslos, darauf reduzierten sie mich, und selbst, wenn sie es gut meinten, wenn sie mir beistehen wollten, sprachen sie doch mehr oder weniger deutlich die Erwartung aus, dass ich richtig am Boden sein müsste. Das war ein neuer, ein geradezu absurder und doch umso heftigerer Druck: Alle Welt erwartete von mir, dass ich traurig war. Unbewusst traute ich mich nicht mehr, fröhlich zu sein. Was würden die Leute sonst von mir denken? «Typisch Fußballer, der hat so viel Geld, dem ist es sogar egal, wenn er ohne Arbeit ist.»
    Dabei erlebt doch – Gott sei Dank – sogar ein Mensch, der gegen Krebs kämpft, zwischendrin immer wieder Momente des Glücks, der Leichtigkeit.
    Ich ging nicht mehr ans Telefon. Ich hätte keine Antwort auf die einzige, die ewige Frage gehabt: Wann, und wo, wirst du wieder spielen? Ich trainierte von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends in einer Reha-Klinik, dort lauerte die Frage nicht am Telefon, sondern im Kopf: Wozu machst du das überhaupt; was, wenn du es nicht mehr schaffst?
    Nach vier Monaten konnte ich Ende 2009 zum ersten Mal wieder vorsichtig gegen einen Fußball treten. Ich durfte mit Schalke eine Woche ins Trainingslager nach Andalusien fahren und danach bei den Queen’s Park Rangers in Westlondon mittrainieren. Immer hieß es, vielleicht, eventuell stellen wir dich an, aber lass uns erst einmal schauen, wie es nach der Verletzung geht, so verstrichen die Monate. Es wurde April 2010. Seit fast einem Jahr war ich ohne Anstellung, seit ziemlich genau drei Jahren, seit Cookies Entlassung, bestand mein Beruf in erster Linie aus Problemen und Schmerzen.
    Die Queen’s Park Rangers boten mir einen Vertrag für die verbleibenden sechs Wochen der Saison an, es sollte eine Art Probezeit sein. Odense BK , ein Klub aus der ersten dänischen Liga, meldete sich. Sie würden mich gerne für die restlichen zehn Spiele der Saison verpflichten. Es schien ein idealer erster Schritt zurück. Ich sagte den Rangers ab und flog nach Dänemark.
    Der Fitnesstrainer will dich noch einmal sehen, bevor wir den Vertrag unterschreiben, sagte Odenses Sportdirektor, der mir das Angebot unterbreitet hatte. Ich absolvierte ein paar Laufübungen.
    Am besten wartest du im Hotel, damit dich keiner sieht, wir wollen nicht, dass unser Interesse an dir vorzeitig rauskommt, sagte der Sportdirektor.
    Ich saß zwei Tage im Hotel. Tue ihm leid, sagte der Sportdirektor: Der Trainer habe es sich jetzt anders überlegt. Sie brauchten mich doch nicht.
     
    Ich dachte nicht, schade, ich muss London verlassen. Ich war einfach nur froh, als ich im Sommer 2010 beim FC St. Pauli unterschrieb.

[zur Inhaltsübersicht]
Epilog Der Duft angebrannter Hamburger
    Es ist der Tag, wenn die englische Haut von winterweiß übergangslos zu krebsrot wechselt. Der erste Sonnentag des Frühlings.
    Das Taxi nimmt die A 4 vom Flughafen Heathrow in die Stadt, und die Vorfreude macht sogar diese schmucklose Schnellstraße schön. Als wir am Hammersmith Flyover in die Fulham Palace Road einbiegen, kann ich mich kaum noch beherrschen. Ich will endlich ankommen. Auf den Bürgersteigen, vor den polnischen Schnellrestaurants und pakistanischen Krimskrams-Läden, tragen die Londoner kurze Ärmel. Sie gehen nicht, sie schlendern. Menschen aus der ganzen Welt, die hier ihre Stadt gefunden haben, begegnen sich beziehungsweise ignorieren sich friedlich, zusammengehalten vom höchsten Londoner Gesetz: Achte die Höflichkeit. Nirgendwo fühlt sich ein Ausländer so zu Hause wie in London.
    Die Sonne hat noch keine Kraft, aber sie spiegelt sich in den verschmierten Fensterscheiben, sie strahlt. Wir sind schon am Parsons Green, vor dem White Horse haben sie den Grill angeworfen, der Duft der angebrannten Hamburger steigt mir in die Nase, obwohl ich durch das Doppelglas der Taxischeibe nichts riechen kann. Die Kirschbäume blühen. Auf der Wiese des Greens spielen sie Federball, andere liegen auf dem Bauch und starren das Blau, das reinste Blau des Himmels an.
    Zu Hause halten wir uns nicht lange auf. Ich hole die
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