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Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)

Titel: Unser empathisches Gehirn: Warum wir verstehen, was andere fühlen (German Edition)
Autoren: Christian Keysers
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jemand anders diese Handlung ausführte. Das war eine Überraschung, weil man bisher angenommen hatte, dass für die Reaktion auf das Verhalten anderer Menschen ein anderes Hirnareal zuständig sei: der temporale visuelle Kortex. Nun schien es, als gebe das Gehirn des Affen vor, die lediglich beobachtete Handlung auszuführen.
    Die Entdeckung eines prämotorischen Neurons, das auf den Anblick von Handlungen reagierte, war etwa so überraschend, als fänden Sie heraus, dass Ihr Fernsehapparat, von dem Sie annahmen, er zeige nur Bilder, in all den Jahren ein Doppelleben geführt und alles, was Sie taten, aufgenommen habe. Die einfache Dichotomie von Input- und Output-Funktion ergab plötzlich keinen Sinn mehr, weil die Forscher herausfanden, dass in bestimmten Hirnregionen Tun und Sehen offensichtlich dasselbe ist.
    Zunächst traute die parmesische Gruppe ihrem Ergebnis nicht. Nachdem die Forscher die Aktivität der ersten Spiegelneuronen aufgezeichnet hatten, nahmen sie an, der Affe habe sich einfach zufällig bewegt, während er zuschaute, wie die Rosine ergriffen wurde. Doch sorgfältige Beobachtungen des Affen und Aufzeichnungen seiner Muskeltätigkeit zeigten, dass die Spiegelneuronen auf den Anblick des Greifens auch dann reagierten, wenn der Affe ganz ruhig war. Langsam begann die Gruppe an die Möglichkeit zu glauben, dass einige prämotorische Neuronen – die Spiegelneuronen – tatsächlich eine Funktion haben, die vom offenen Verhalten des Affen völlig losgelöst ist.
    Doch was bedeutet es für ein prämotorisches Neuron, dass es feuert, während Sie die Handlungen anderer Menschen beobachten? Werden prämotorische Neuronen künstlich stimuliert, indem man einen schwachen elektrischen Strom durch die Elektrode schickt, die normalerweise zur Aufzeichnung der Neuronenaktivität verwendet wird, unterbricht der Affe seine jeweilige Tätigkeit und streckt unvermittelt den Arm aus, um nach etwas zu greifen. 1 Zwar wird dadurch bestätigt, dass prämotorische Neuronen tatsächlich zu den eigenen Handlungen des Affen gehören, doch die Frage bleibt, was der Affe »fühlt«, wenn er greift. Einige unserer eigenen Bewegungen können uns unwillkürlich erscheinen. Wenn Sie beispielsweise auf einer Tischkante sitzen und einer Stelle unter Ihrer Kniescheibe mit einem Hammer einen leichten Schlag versetzen, schnellt Ihr Unterschenkel nach vorn, doch Sie haben den Eindruck, dass sich die Bewegung unabhängig von Ihrem Willen vollzieht. Wenn Sie dagegen das Bein willentlich strecken, fühlt sich die gleiche Bewegung ganz anders an – Sie wollten Ihr Bein strecken, und die Gliedmaße hat Ihrem Willen »gehorcht«. Was fühlt der Affe also, wenn ein Versuchsleiter seine prämotorischen Neuronen aktiviert? Empfindet er die Greifbewegung als ebenso unwillkürlich wie wir den Kniesehnenreflex oder hat er das Gefühl, er wolle greifen?
    Die Antwort auf diese Frage konnten wir finden, weil bei chirurgischen Eingriffen gelegentlich eine Elektrostimulation bestimmter Hirnareale vorgenommen wird. Beispielsweise erleiden manche Epilepsiepatienten so viele Anfälle pro Tag, dass sie kein normales Leben mehr führen können. Wenn sich die Medikamente nicht mehr auf die Anfallshäufigkeit auswirken, bleibt den Patienten oft nur noch eine Operation. Epileptische Anfälle beginnen in einer genau umschriebenen Region des Gehirns und greifen langsam auf die übrigen Regionen über. Wenn also der Herd, in dem der Anfall beginnt, genau bestimmt ist, kann eine chirurgische Entfernung dieser Region die Häufigkeit der Anfälle enorm verringern oder die Epilepsie sogar gänzlich heilen. Doch das zu entfernende Gewebe ist mit irgendeiner Hirnfunktion verknüpft, sodass der Eingriff diese Funktion verändern wird. Um die Veränderung wichtiger zerebraler Fähigkeiten zu vermeiden, stimulieren Neurochirurgen manchmal verschiedene Hirnregionen, um auf ihre Funktionen schließen zu können. Zusammen mit dem Patienten kann der Chirurg dann entscheiden, ob die Hirnregion entfernt werden soll oder nicht; je nachdem, ob der Patient bereit ist, diese Fähigkeit zu opfern, um die Epilepsie zu lindern. Ein Eingriff in Sprachareale oder grundlegende motorische Systeme kann beispielsweise eine so starke Beeinträchtigung zur Folge haben, dass die meisten Patienten wohl die Epilepsie vorziehen.
    Wenn Neurochirurgen den primären motorischen Kortex unmittelbar hinter der Region stimulieren, in der sich die Spiegelneuronen befinden, beginnt der Körper des
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