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Unschuldig

Titel: Unschuldig
Autoren: Andrea Vanoni
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liebte.
    Sie legte den Kopf schräg, während sie lauschte, und bat schließlich um einen dritten Drink. Sie musste schon so betrunken sein, dass sie weder sich noch ihn fragte, wo er all die Daiquiris für sie bereithielt.
    Manche Szenen aus seinen Lieblingsfilmen konnte er richtig gut nachspielen, so oft hatte er sich die DVDs zu Hause angeschaut. Doch bevor er ihr die Kostprobe eines Dialoges geben konnte, bemerkte er, wie ihr Blick erst starr wurde und ihre Augen sich dann verdrehten, sodass fast nur noch das Weiße zu sehen war. Langsam rutschte sie vom Stuhl auf den Boden, wo sie ausgestreckt liegen blieb. Ihre gespreizten Schenkel waren vermutlich mit dem Sperma von Nummer vier befleckt, den die Polizei deshalb bald verdächtigen würde.
    Er sperrte die Tür von innen ab und nahm den Schlüssel und das Cocktailglas an sich. Schnell zog er sich einen dünnen Plastikanzug an, den er in der Toilette versteckt hatte, und streifte Haube und Handschuhe über – das alles hatte er mit einer Stoppuhr viele Male geprobt. Dann blickte er einen Moment lang nachdenklich auf sie herab, und sein Blick zoomte auf ihre Augen. Er nahm das Grapefruitmesser.
     

1
    E ine bleiche Märzsonne hing über der Stadt und verschwand gelegentlich hinter ein paar dünnen Wolkenschleiern. Die Menschen auf den Straßen blinzelten ins ungewohnte Licht wie im Schlaf gestörte Maulwürfe.
    Paula Zeisberg stand am Küchenfenster und wärmte ihre Hände an der großen Tasse mit dem heißen Tee. Der Winter war ungewöhnlich lang und trostlos gewesen. Sie bemerkte an den Bewegungen der noch kahlen Kastanienzweige im Hof, dass ein heftiger Wind blies. Das war gut so, denn dann trocknete das Schmelzwasser auf den Straßen schneller. Der Boden war noch gefroren und konnte nur wenig Wasser aufnehmen. Dennoch war die blasse Sonne ein deutliches Signal dafür, dass der Winter nun sein Ende gefunden hatte.
    Paula fröstelte in ihrem Bademantel und wandte den Blick in das nur spärlich eingerichtete Wohnzimmer. Im vergangenen Herbst hatte sie Jonas, ihre große Liebe, wiedergetroffen, nachdem sie sich jahrelang aus den Augen verloren hatten. Seither waren sie ein Paar und hatten ziemlich bald beschlossen zusammenzuziehen.
    Paulas alte Wohnung in der Uhlandstraße war zu klein für sie beide, also suchten sie gemeinsam eine größere. Von ihrer Freundin, der Staatsanwältin Chris Gregor, bekam sie die Adresse einer Bekannten aus Charlottenburg, die sich mit dem dortigen Wohnungsmarkt gut auskannte. Bereits nach wenigen Tagen fanden sie mit deren Hilfe eine schöne helle Dachgeschosswohnung in der Sybelstraße. Die hatte zwar auch nur drei Zimmer, war aber größer als die vorherige, und auch die Aufteilung stimmte.
    Am liebsten saß Paula in dem kleinen Glasanbau, der zur Ecke Sybel/Lewisham lag, oder sie legte sich zum Lesen und Nachdenken aufs Sofa oben auf der Galerie. Die Wohnung hatte sogar zwei Bäder und zwei Schlafzimmer, wovon eines als Gästezimmer diente. Das Beste aber war der Kamin in dem riesigen Wohnzimmer, den sie schon viele Male benutzt hatten.
    All das war einfach ein Traum, und dazu auch noch bezahlbar. Obgleich das neue Domizil noch nicht einmal richtig möbliert war, fühlte Paula sich zum ersten Mal seit langer Zeit in ihren vier Wänden wirklich zu Hause. Fehlten nur noch die Siebensachen von Jonas, die in den nächsten Tagen geliefert werden sollten.
    Während Paula mit ihrer fast geleerten Teetasse zwischen noch nicht ausgepackten Bücherkisten herumspazierte, überlegte sie, wie viele gravierende Entscheidungen sie eigentlich während des letzten Jahres getroffen hatte. Ihre alte Wohnung in der Uhlandstraße hatte sie leichten Herzens aufgegeben, nachdem Jonas ihr vorgeschlagen hatte, mit ihm zusammenzuziehen. Mit ihrem Ex Ralf traf sie sich kaum noch, obgleich sie nach wie vor häufig an ihn dachte. Sie hatte sich nach einer über zehnjährigen Beziehung im Jahr zuvor von ihm getrennt. Er hatte sie nicht nur betrogen, sondern sich auch in ihre Arbeit eingemischt, um schließlich in einem Mordfall, den sie zu bearbeiten hatte, als Verdächtiger ins Visier der Polizei zu geraten.
    Damit hatte er in ihren Augen eindeutig eine Grenze überschritten. Es folgte ihr Auszug aus der gemeinsamen Wohnung, doch schon bald stand der Umzugswagen wieder vor ihrer Tür. Es ging zwar nur wenige Straßen weiter hinein nach Charlottenburg, aber das Ganze war dennoch ein ziemlicher Stress gewesen. Immerhin mal einer, für den sie entschädigt
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