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Unschuldig

Titel: Unschuldig
Autoren: Andrea Vanoni
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worden war. Paula hatte die Wohnung gewählt, und sie hatte Jonas gewählt. Wenn es nur immer so schön wie jetzt bliebe, dachte sie, als sie ins Bad ging.
    Am Mittag erwartete sie den Besuch ihrer Schwester Sandra, die mit ihrem kleinen Sohn Manuel für zwei Wochen Berliner Luft schnuppern wollte. Der Knirps hatte Kindergarten-Ferien, und Sandra wollte endlich mal wieder Zeit mit ihrer Schwester verbringen, Freundinnen besuchen, in Museen gehen und natürlich bei der Gelegenheit auch Jonas näher kennenlernen, der ihr bislang nur einmal kurz vorgestellt worden war.
    Paula kam gerade aus der Dusche, als ihr Handy klingelte: »Eine verstümmelte Frauenleiche, Ku’damm 162.«
    Noch am Abend zuvor, als sie gemütlich mit Jonas bei einem Glas Rotwein vor dem Kamin saß, hatte sie sich in einer stummen Bitte gewünscht, sie möge die kommenden Tage von einem Mordfall verschont bleiben. Jetzt hatte sie sofort das enttäuschte Gesicht ihrer Schwester und den betrübten kleinen Lockenkopf vor Augen und verspürte ein schlechtes Gewissen. Bei einem schwierigen Fall würde sie nur wenig Zeit für ihre Gäste haben. Einfach wäre beispielsweise ein Streit unter Nachbarn mit tödlichem Ausgang oder ein familiäres Eifersuchtsdrama, aber eine verstümmelte Leiche hörte sich nicht danach an. Sie und ihr Team würden ohne nennenswerte Verschnaufpause bis zur Aufklärung des Mordes durcharbeiten müssen. Da waren auch die Wochenenden gestrichen.
    Sie hatte nur den Tee getrunken, nichts von dem Toast angerührt, den Jonas ihr ans Bett gestellt hatte, bevor er sich auf den Weg in die Klinik machte, und ging noch einmal die wenigen Informationen durch, die der Beamte ihr mitgeteilt hatte, während sie sich hastig anzog. Der Anruf war um 7.23 Uhr bei der Polizei eingegangen. Die weibliche Leiche lag in einem Restaurant, in dem seit ein paar Tagen Dreharbeiten zu einem Fernsehfilm stattfanden. Sie war von einem Mitglied aus dem Filmteam vor Drehbeginn gefunden worden.
    »Sieht verdammt nach großem Kino aus«, hatte der Kollege gespottet. »Aber die Tote ist echt.«
     
    Paula zögerte kurz, als sie wenige Minuten später den Sicherheitsbügel an der Tür ihrer neuen Wohnung im fünften Stock verschloss. Eigentlich gehörte das nicht zu ihren Gewohnheiten. Meistens machte sie sich nicht einmal die Mühe, die Tür überhaupt abzuschließen, sondern zog sie nur hinter sich ins Schloss. Wenn jemand einbrechen will, dann schafft er es sowieso, das war ihr als Kriminalhauptkommissarin völlig klar. Warum also sollte ein möglicher Einbrecher mehr beschädigen, als nötig war?
    Sie besaß nur wenige Dinge von Wert. Eine Menge Bücher mit handschriftlichen Anmerkungen, die noch unausgepackt in den Umzugskartons lagen, eine Musikanlage, die schon mindestens zwölf Jahre alt war, einen preiswerten Flachbildfernseher, den sie letztes Jahr gekauft hatte, und einige wenige Möbel, keine Bilder oder Kunstgegenstände.
    Ihr Ex hatte ihr zwar zahlreiche seiner Bilder geschenkt, und die waren inzwischen sicherlich im Wert gestiegen, seit er einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte und die Preise seiner Werke in den Galerien in die Höhe schossen. Aber Paula hatte sie nicht mitgenommen in ihre neue Wohnung, sondern in einem Speditionslager in Tegel eingelagert. Sie zahlte lieber ein paar Euro Lagergebühren, statt sich mit dem »alten Gerümpel« zu beschweren. Vielleicht war das ihre ganz eigene Art von Vergangenheitsbewältigung.
     
    In der Sybelstraße kam ihr eine streunende Katze entgegengelaufen. Sie sah ihrem verstorbenen Kater Kasimir ähnlich, und Paula wurde ein wenig schwer ums Herz. Er fehlte ihr sehr. Mit Jonas hatte sie sich jedoch darauf geeinigt, dass sie sich keinen neuen Kater zulegen würden. Sie arbeiteten beide viel und zu unregelmäßigen Zeiten. Besonders Jonas, der als Oberarzt oft Nacht- und Wochenenddienste in der Klinik zu leisten hatte.
    Im Alter von zehn Jahren, vier Monaten und drei Tagen war Kasimir im letzten Jahr getötet worden. Jetzt tollte er wohl im Katzenhimmel herum, wo es jeden Tag frische Hühnerleber und allerlei andere Köstlichkeiten gab. Das hoffte Paula zumindest. Sie versuchte, die fremde Katze anzulocken, aber das Tier blieb scheu auf Distanz.
    Im Vorübergehen betrachtete sich Paula flüchtig im Schaufenster einer Boutique auf der Wilmersdorfer Straße. Ihre Kleidung war eher praktisch als schick und ihr halblanges mittelblondes Haar noch feucht vom Duschen. Ein baldiger Friseurbesuch wäre auch
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