Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch
Autoren: Brian Freeman
Vom Netzwerk:
losgefahren ist?«
    »Ja.«
    »War sie allein?«
    »Klar.«
    »Und sie hat gesagt, dass sie nach Hause fährt?«
    »Das hat sie gesagt.«
    »Hat sie vielleicht gelogen? Könnte sie noch eine andere Verabredung gehabt haben?«
    Sally stieß ein bitteres Lachen aus. »Klar könnte sie. Hatte sie auch bestimmt.«
    Stride richtete seine dunklen Augen wieder auf Sally. Sie wandte den Blick ab und betrachtete ihre Schuhspitzen, sodass ihr die Locken in die Stirn fielen. »Weißt du irgendwas, Sally?«, fragte Stride. »Bist du vielleicht später noch bei Rachel vorbeigegangen und hast ihr gesagt, sie soll die Finger von Kevin lassen?«
    »Nein!«
    »Und wen, glaubst du, könnte Rachel noch getroffen haben?«
    »Das kann so ziemlich jeder gewesen sein«, erwiderte Sally. »Sie ist eine Schlampe.«
    »Hör endlich auf!«, ereiferte sich Kevin.
    »Ihr hört jetzt beide auf!«, fuhr Stride sie an. »Was hatte Rachel am Freitagabend an?«
    »Eine enge schwarze Jeans, die man wahrscheinlich aufschneiden muss, um sie auszuziehen«, antwortete Sally. »Und einen weißen Rollkragenpulli.«
    »Hatte sie irgendwas im Auto, Kevin? Gepäck vielleicht oder einen Rucksack?«
    »Nein, gar nichts.«
    »Du hast Mr Stoner erzählt, sie hätte sich mit dir verabredet.«
    Kevin biss sich auf die Lippen. »Sie hat mich gefragt, ob ich mich am Samstagabend mit ihr treffen will. Sie hat gesagt, ich soll sie um sieben abholen, dann gehen wir aus. Aber sie war nicht da.«
    »Für sie war das doch alles nur ein Spiel«, wiederholte Sally. »Hat sie dir auch gesagt, dass du mich am Samstag anrufen und mich anlügen sollst? Genau das hast du nämlich getan!«
    Langsam wurde Stride klar, dass er aus den beiden heute nicht mehr viel herausbekommen würde. »Jetzt hört mir mal zu, ihr zwei. Hier geht es nicht darum, wer mit wem rumgeknutscht hat. Ein Mädchen wird vermisst, eine Freundin von euch. Ich muss jetzt los und mit ihren Eltern reden, die sich fragen, ob sie ihre Tochter jemals wiedersehen. Ist euch das klar? Jetzt denkt noch mal nach. Ist euch am Freitag irgendwas aufgefallen, was Rachel getan oder gesagt hat? Irgendwas, das uns als Hinweis dienen könnte, wohin sie wollte, als sie fortgegangen ist, mit wem sie sich vielleicht treffen wollte.«
    Kevin kniff die Augen zusammen, als würde er ernsthaft nachdenken. »Nein, Lieutenant. Da war nichts.«
    Sally blickte trotzig drein und sagte nichts, und Stride fragte sich, ob sie ihm irgendetwas verschwieg. Aber es war nichts aus ihr herauszubekommen. »Keine Ahnung, was mit ihr passiert ist«, murmelte sie nur.
    Stride nickte. »Na gut. Wir reden später noch mal.«
    Er warf einen weiteren Blick auf den tiefschwarzen See hinter dem Kanal, aber dort gab es nichts zu sehen. Der See war genauso leer, wie ihm sein Leben vorkam.
    Als er an den beiden Jugendlichen vorbei zum Parkplatz ging, spürte er es wieder. Ein Déjà-vu. Eine scheußliche Erinnerung.

2
    Vierzehn Monate waren seit jenem verregneten Abend im August vergangen, als Kerry McGrath verschwunden war. Stride hatte so oft versucht, ihren letzten Abend zu rekonstruieren, dass er inzwischen wie ein Film in seinem Kopf ablief. Wenn er die Augen schloss, sah er sie vor sich, ganz deutlich, bis hin zu den Sommersprossen um die Mundwinkel und den drei schmalen goldenen Ringen, die sich um ihr linkes Ohrläppchen schmiegten. Er hörte sie kichern, wie auf dem Video ihrer Geburtstagsparty, das er sich mindestens hundert Mal angeschaut hatte. Die ganze Zeit stand ihm ihr Bild so klar vor Augen, dass es ihm fast vorkam, als wäre sie noch am Leben.
    Aber sie war tot, das wusste er. Das fröhliche Mädchen, das so real für ihn war, lag irgendwo in der Erde verscharrt, ein scheußliches, zerfressenes Etwas inmitten der vielen Hektar Wildnis, die sie nie ganz durchsuchen konnten. Inzwischen wollte er nur noch wissen, wer das getan hatte und warum.
    Und jetzt gab es eine zweite Vermisste. Ein weiteres junges Mädchen.
    Während er an einer roten Ampel wartete, schaute Stride aus dem Fenster seines Jeeps, sah aber nur das Spiegelbild seiner düsteren braunen Augen. Piratenaugen, hatte Cindy immer gesagt, wenn sie ihn ärgern wollte. Dunkel, wach und lodernd. Aber das war vorbei. Er hatte Kerry zur selben Zeit an ein Monster verloren, als ein ganz anderes Monster ihm Cindy genommen hatte. Die Tragödie hatte das Feuer in seinen Augen zum Verlöschen gebracht und ihn altern lassen. Er sah die Spuren in seinem Gesicht, das wettergegerbt wirkte und alles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher