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Unmoralisch

Unmoralisch

Titel: Unmoralisch
Autoren: Brian Freeman
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Ich hatte sie umgebracht.«
    »Rachel war schon lange vorher tot«, murmelte Stride.
    Andrea sah ihn an, und ihre Augen blickten flehentlich. »Ich hätte nie gedacht, dass man dich wieder da hineinziehen würde, Jon. Das musst du mir glauben. Ich hätte nie gedacht, dass jemand die Verbindung zu Rachel herstellt.«
    Stride wusste, dass es hier keinerlei Grauzonen gab. Wären sie vor Gericht gewesen, hätte man sie schuldig gesprochen. Aber dann kam ihm der Gedanke, dass Andrea nicht allein für die Sache verantwortlich zu machen war. Auch Robin nicht. Er selbst musste einen Teil der Schuld auf sich nehmen. Vielleicht wusste er deshalb so genau, dass er dieses Geheimnis niemals preisgeben würde. Wem sollte das auch nützen?
    »Und was jetzt?«, fragte Andrea.
    Ja, was jetzt, fragte er sich. »Jetzt müssen wir beide damit leben.«
    »Ich weiß, wie schwer das für dich ist«, flüsterte sie. »Es einfach so dabei zu belassen.«
    »Ehrlich gesagt ist es gar nicht so schwer. Das sollte mir wahrscheinlich zu denken geben.«
    Er wollte jetzt nur noch fort, sich von ihr verabschieden und mit seiner Schuld allein sein. Aber er wusste, dass er ihr noch etwas sagen, ihr etwas geben musste, woran sie sich festhalten konnte. Damit ihr die Vergangenheit nicht wie eine einzige Lüge vorkam.
    »Robin hat gewusst, dass du Rachel getötet hast«, sagte er, als er schon an der Tür war. »Er hat es auf sich genommen, er wollte, dass wir ihm die Schuld daran geben. Deinetwegen, Andrea. Das hat er für dich getan.«
    Stride stellte fest, dass er nirgendwo hinkonnte. Er war heimatlos – in seiner eigenen Heimatstadt.
    Schließlich landete er auf der Kanalbrücke und stand dort, wo auch Rachel an ihrem letzten Abend in der Stadt gestanden hatte. Ehe sie nach Hause gegangen war und die Beweise in Graemes Van platziert hatte. Ehe sie Graemes Turnschuhe gestohlen hatte. Ehe sie Robin getroffen hatte, der in einer Seitenstraße auf sie wartete, und ihn dazu überredet hatte, mit ihr zu einem kleinen Spielchen zur Scheune zu fahren. Sie über die Wiese zu jagen. Ihren Pullover zu zerschneiden. Ihr die Haut mit dem Messer zu ritzen. Blut, Stofffasern – Spuren.
    Und ich bin ihnen auf den Leim gegangen, dachte Stride.
    Er starrte in das dunkle Wasser hinunter, das sich an diesem Abend unter dem leichten, kühlen Wind vom See kaum regte. Er umfasste das Geländer mit beiden Händen und stellte sich vor, wie Rachel darauf balanciert war. Wenn ein Windstoß sie damals in das eiskalte Wasser des Kanals geweht hätte, sähe sein Leben heute vollkommen anders aus. Ob besser oder schlechter, das konnte er nicht wissen.
    Wenigstens kannte er jetzt Rachels Geheimnisse. Bis auf eines. Er wusste immer noch nicht den Grund. Den Grund für das Spiel. Den Grund für den erbitterten Krieg zwischen Graeme und Rachel. Es erstaunte ihn, dass Rachel keinen Hinweis darauf zurückgelassen hatte, wo sie doch für alles andere Spuren ausgestreut hatte wie Brotkrumen. Es sei denn, sie hatte ihm mit der rätselhaften Postkarte etwas sagen wollen. Er hat den Tod verdient.
    Stride drehte sich um, lehnte sich an das Geländer und sah den Autos zu, die zwischen der Stadt und dem Point hin und her fuhren. Er versuchte, im Kopf noch einmal die zeitliche Abfolge zu rekonstruieren, nachdem er ja jetzt wusste, dass Robin das fehlende Verbindungsglied gewesen war. Er stellte sich vor, wie Rachel im September vor ihrem Verschwinden in Robins Unterricht gesessen hatte. Wie der Plan in ihr gereift war.
    Ich habe dir einen Mann besorgt und ihm einen Mörder.
    Er fing an, etwas zu begreifen. Das Durcheinander in seinen Gedanken begann sich zu lichten, wie Nebel, der sich vom See hob.
    Stride hörte die Stahlträger der Brücke unter zwei Paar Reifen aufheulen und erschrak, als er einen roten VW Beetle vom Point herankommen sah. Eine dunkelhaarige junge Frau saß am Steuer. Sie lächelte ihn an, als sie an ihm vorbeifuhr. Er hatte den absurden Gedanken, dass es vielleicht Rachel gewesen war. Selbst jetzt, wo er wusste, dass sie tot war, glaubte er noch, dass sie Wege fand, ihn weiter zu verfolgen.
    Aber es war nicht Rachels Wagen. Es war nicht …
    … der Blutkäfer.
    Plötzlich gelang es Stride, den Nebel ganz zu durchdringen. Jetzt wusste er es. Rachel hatte die ganze Zeit versucht, ihm eine Botschaft zu übermitteln.

19
    Dreihundertvierzig Meter über dem Boden, oben auf der Spitze des Stratosphäre Tower, die aussah wie eine fliegende Untertasse, war es angenehme zehn Grad
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