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Unheil ueber Oxford

Unheil ueber Oxford

Titel: Unheil ueber Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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Neid aller anderen Mensen der Universität.

    An einem Nachmittag im Frühjahr, einige Monate vor Kates Telefonat mit Emma, unterhielten sich zwei Personen in einem Raum, dessen hohe Fenster auf den Pesant-Hof gingen.
    »Wie viel nehmen Sie an einem durchschnittlichen Morgen so ein?« Die Frage klang beiläufig, doch der Angesprochene ließ sich nicht täuschen.
    »Weniger als etwa dreißig bis vierzig würden wir als nicht zufrieden stellend ansehen.«
    »Pfund?« Der Fragesteller schien enttäuscht.
    »Tausend. Dreißig- bis vierzigtausend Pfund.«
    »Ach.«
    Der Frager wandte sich zum Fenster und blickte hinaus, als wäre ihm die Sache nicht weiter wichtig. Das Glas war alt und hatte sich im Lauf der Jahrhunderte verzogen. Man hatte den Eindruck, alles wie durch das grüne Wasser eines Baches zu sehen. Eine Gruppe Studenten schlenderte über den Rasen des Innenhofs. Auf der gegenüberliegenden Seite endeten zwei Gebäudekomplexe in einem alten Turm, den der Architekt des achtzehnten Jahrhunderts (man vermutete, dass es James Gibbs gewesen war, doch Beweise gab es dafür nicht) in die Gebäude integriert hatte; der hohe, viereckige, zinnenbewehrte Turm bestand aus sanft goldfarbenem Stein, der das nachmittägliche Sonnenlicht aufzusaugen schien. Auf seiner Plattform hielten sich einige Personen auf, die sich gegenseitig auf landschaftliche Besonderheiten hinwiesen. Aus der Entfernung klangen ihre Stimmen wie Vogelgezwitscher.
    »Das ist der Tower of Grace «, erklärte der zweite Mann, der zu dem anderen getreten war und ihm über die Schulter blickte. »Er stört die Symmetrie des Pesant-Hofs und war dem klassizistischen Empfinden des Erbauers sicher ein Dorn im Auge. Trotzdem bin ich froh, dass man ihn erhalten hat. Ich persönlich finde ihn schön.«
    »Warum ›Grace‹? Wurde er nach einer Frau benannt? Vermutlich nicht!«
    »Wir Leute von heute bilden uns ein, dass die Menschen vergangener Zeiten weniger für ihre Frauen und Kinder empfanden, als wir es heutzutage tun. Tod und Dämonen lauerten an jeder Ecke – warum also sollten sie einem Menschenleben Wert beimessen? Warum sollte man sein Herz an ein Baby oder dessen Mutter hängen, wenn sie einem doch jeden Augenblick von einer Krankheit, einem Unfall oder einem unfähigen Quacksalber entrissen werden konnten?«
    »Ich vermute, Sie werden mir gleich erklären, dass diese Auffassung nicht stimmt.«
    »Wir haben Beweise in Form von Briefen, die wir im Archiv des Colleges in einer langweiligen, grauen Kiste verwahren.«
    Der erste Mann seufzte. Er hätte lieber über moderne Dinge gesprochen. »Und?«
    »Die Briefe berichten von einem reichen Händler, dessen Söhne hier im Bartlemas College studierten – oder besser gesagt: in der St. Anselm’s Hall, die damals an dieser Stelle stand. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete der Händler ein zweites Mal. Die Frau war deutlich jünger als er, zart gebaut und von zerbrechlicher Gesundheit. Als sie schwanger wurde, fürchteten die Ärzte um ihr Leben. Auch um das ihres Kindes.«
    »Dann war der Turmbau also sozusagen ein Versprechen?«
    »Nicht ganz. Der Mann bat die Mönche, für seine Frau und das ungeborene Kind zu beten. Aus den Aufzeichnungen wissen wir, dass dies auch geschah. Doch die junge Frau starb trotzdem, und das Baby mit ihr. Die Trauer des Mannes war so tief, dass er sein gesamtes Vermögen ausgab, um diesen Turm zu bauen, den er nach seiner verstorbenen Frau benannte.«
    »Grace?«
    »Eigentlich hieß sie Gráinne, doch ihr Name wurde mit Grace übersetzt.«
    »Und kaum war der letzte Stein verbaut, da starb unser Held an gebrochenem Herzen?«
    »Durchaus nicht. Es gibt Beweise, dass er noch ein weiteres Mal heiratete – anscheinend eine wesentlich robustere Frau –, weitere vier Kinder zeugte und sein Vermögen zurückgewann.«
    »Ehrlich gesagt verstehe ich die Moral Ihrer Geschichte nicht ganz.«
    »Hatten wir von Moral gesprochen?« Der Sprecher lächelte. »Ich dachte, hier ginge es um Geld.«
    »Was uns zurück zu den ehemaligen Mitgliedern und Wohltätern des Colleges bringt, die uns die beträchtlichen Summen zur Verfügung stellen, die wir heute benötigen.«
    »Wieso? Haben Sie ein bestimmtes Projekt im Auge, das aus Fördergeldern finanziert werden soll?«
    »Schon möglich. Ich habe da eine Idee, die ich gern mit Ihnen besprechen möchte.«
    »So etwas brauche ich in schriftlicher Form, und zwar in fünffacher Ausfertigung, damit das Komitee sich ein Bild machen kann.«
    »Ich
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