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Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze

Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze

Titel: Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze
Autoren: Dietmar Bittrich
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heran. Ja, vor allem unten.«
    Dabei beherrschte sie eine Bewegung, gegen die er sich nicht zu wehren vermochte. So erzählte er uns. Es war eine zauberkräftige Bewegung der Schenkel, die er in der Tanzschule selbst beim Tango nicht kennengelernt hatte und vor der ihn auch niemand gewarnt hatte. Ein Streichen war es, ein Ziehen und sehnsüchtiges Reiben, das seine Furcht vertrieb, während sein Puls sich beschleunigte und das Blut abwärtsdrängte.
    »Du tanzt sehr einfühlsam«, säuselte sie, um davon abzulenken, dass es gar nicht mehr ums Tanzen ging. Und jetzt merkte sie, dass sie Erfolg hatte.
    »Ich dachte: Das geht nicht gut«, erzählte uns Alexander. »Das schaffe ich nicht. Das stehe ich nicht durch, dachte ich. Ich merkte, wie ich die Kontrolle verlor.«
    Weil sie ihren Erfolg so deutlich spürte, ließ sie inzwischen ein wenig ab und schuf Luft und Raum, aber kaumwich sie andeutungsweise zurück, drängte er nach, ohne dass er es eigentlich wollte; es ging nicht anders.
    »Du tanzt wunderbar«, murmelte sie an seinem Hals. Und dann, als merkte sie auf einmal, was da bei ihm im Gang war, schob sie ihn zurück.
    »He«, sagte sie, aufrichtig entrüstet oder Entrüstung nur vortäuschend. »Was ist los? Ich wollte nur tanzen!«
    Ein kalter Schrecken überrieselte ihn. Aber nüchtern wurde er nicht gleich. Er stand benommen da.
    Sie sah an ihm herunter wie die Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft. Sie hatte sich vollkommen im Griff, während er sich anstrengen musste, auf seinen Füßen zu bleiben.
    »Du bist wirklich ein ausgezeichneter Tänzer, Alexander«, sagte sie dann. »Aber was du noch lernen musst: dich im Zaum zu halten.«
    Sie stellte die Musik ab. »Alles okay«, fuhr sie fort, beruhigend, jetzt mütterlich. »Kein Problem. Ich wollte nur tanzen. War ja auch schön. Trink aus. Und nächsten Mittwoch zur gewohnten Zeit.«
    Unfähig, zum Konversationston zurückzukehren, wankte er hinaus.
     
    »Was war das?«, fragte er uns.
    »Sie hat es mit der Angst gekriegt«, diagnostizierten wir fachmännisch. Wenn er alles wahrheitsgemäß erzählt hatte, konnte es nicht anders sein.
    »Sie hat Bestätigung gesucht, und die hat sie bekommen«, erklärte ihm Jakob.
    »Das hat ihr gereicht«, nickte ich sachverständig. »Sie wollte ihre Ehe nicht aufs Spiel setzen.«
    Wenig später erreichte Alexanders Klavierschüler eine Kunstfertigkeit, die weiteren Unterricht überflüssig machte; der Musiklehrer der Schule, behauptete die Mutter, hatte das festgestellt. Er war seinen Job los. »Aber wenn du in der Gegend bist«, tröstete sie ihn, »schau gern mal rein, falls du Lust hast. Ruf mich vorher nur kurz an.«
    »Was bedeutet das?«, fragte er mich.
    Ich hatte keine Ahnung. »Du musst es ausprobieren«, riet ich.
    Vor allem war klar, dass ich im Hintertreffen war. Ich ging immer noch mit einem fünf Jahre jüngeren Mädchen ins Kino. Das reichte nicht mehr. Deshalb machte ich mich an einem Nachmittag in den großen Ferien auf zu meiner eigenen Entjungferung.

Fast ein Gigolo
    Es war dasselbe Jahr. Der Hochsommer hatte im April stattgefunden. Danach hatte eine Regenzeit eingesetzt, die nicht enden wollte. Den in Schauern ertrinkenden Mai nahmen wir hin. Das war so in der norddeutschen Tiefebene. Als der Juni sich nicht davon unterschied, schmiedeten wir Auswanderungspläne. Australien sollte einigermaßen trocken sein. Als auch im Juli noch geheizt werden musste, reiste Alexander nach Griechenland, wo er Verwandte hatte, und Jakob ließ sich von seinen Eltern nach Ägypten mitschleifen.
    Dann explodierte die Hitze. Der Juli ging bereits zu Ende, da begann ein Sommer, von dem nach kurzer Zeit alle sagten: Das haben wir nicht gewollt. Selbst in den Mooren herrschte Waldbrandgefahr. Am hoffnungslosesten Weinberg Deutschlands, in Sankt Pauli über den Landungsbrücken, verbrutzelten die Trauben am Stock zu Rosinen. Nach zwei staubheißen Wochen konnte niemand sich vorstellen, dass es jemals geregnet hatte. Die Busfahrer fuhren mit offenen Türen. Unablässig tönten die Glocken der Eisverkäufer. Die Luft bewegte sich kaum, der Himmel wurde von Tag zu Tag schwerer und sank tiefer herab auf Hafenkräne und Lagerhallen.
    An den Strand von Oevelgönne wurden Schaumberge und tote Fische gespült. Niemand wusste, was sich hinter dem Wort Fluorkohlenwasserstoff verbarg. Doch dass die Elbe im Sommer ausschließlich daraus bestand und das Glitzern der Strömung vom Quecksilber kam, galt als gesichert.Baden war
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