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Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze

Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze

Titel: Ungleiche Paare - Die Leidenschaft der Gegensaetze
Autoren: Dietmar Bittrich
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Kaffee trinken. Sicher kannte sie die toten Winkel der Videokameras, um dabei ihrem fernöstlichen Jüngling ungestört näher zu rücken.
    Ich senkte die Stimme: »Denkst du daran, dass wir noch meine Tante beerben wollen? Dazu sollten wir ein glückliches Paar abgeben. Wenigstens heute Abend und noch morgen beim Frühstück. Sonst überschreibt sie das Haus ihrer sozialistischen Seilschaft.«
    »Denk du daran und mach mich glücklich!« Eine triumphale Selbstgewissheit glitzerte in ihrem Lächeln. Makellose Reißzähne. Sie hatte ihren grünen Leopardenblick mit den nadelfeinen Pupillen aufgesetzt. Fehlten noch geschliffene Krallen und ein gieriges Fauchen. Ich musste sie heiraten.
     
    Der Gazevorhang des rechten Fensters – hinter der Vitrine mit dem Modell der ersten aller Mesalliancen, Adam und Eva – war ausgefranst vom häufigen Zurückbiegen. Eigentlich sollte hier wohl niemand aus dem Fenster spähen. Aber ein paar bedrückte Ausstellungsopfer hatten keine andere Ausflucht gewusst als den Blick hinaus.
    Unmittelbar unter dem Fenster stand das Denkmal des Herzogs, daruntergestaffelt folgte eine barocke Brunnenterrasse, dann der Marktplatz, von einem sphinxhaften Rathaus bewacht. Drum herum die Schar wärmend zusammengedrängter Häuser, in denen ebenbürtige Paare wohnten, soziokulturell kompatibel, die sich gerade, jederfür sich, nach anderen, konträren Partnern sehnten, um das Gegenteil zu erleben und die ganz andere Erfahrung zu machen, in der es mehr geben musste, mehr Ekstase und Intensität, derweil sie sicher und in Frieden lebten unter sauber gedeckten Dächern, hinter sanierten Fassaden, in dieser freundlichen Spitzwegstadt. Gleichheit ist nie genug.
    Gleich und Gleich gesellt sich gern und hat langfristig die besten Aussichten. Aber zwischen ungleichen Partnern herrscht die größere erotische Spannung. Dort, wo die Lücke klafft, wo der andere stets aufs Neue in die Unerreichbarkeit driftet und die Fremdheit immer wieder überwunden werden will: Dort ist die Leidenschaft.

Die Liebe am Nachmittag
    Irgendwann war der Startschuss gefallen. Es hatte geklappt: bei Jakob, wenig später bei Alexander. Die beiden verdienten sich Geld mit Nachhilfeunterricht, notgedrungen, denn die Callboy-Einkünfte wollten ja nicht in Gang kommen. Nun offenbarte sich eine unverhoffte Verwandtschaft zwischen diesen Jobs. Meine Freunde stiegen ein in die Kulturgeschichte der ungleichen Paare, tölpelhaft und ungelenk, und ich fühlte mich gedrängt, hinterherzueilen.
    Alexander unterrichtete einen Neunjährigen am Klavier. Jakob half einem Elfjährigen in Latein. Die Mütter mussten Mitte bis Ende dreißig sein, für uns also in sagenhaftem Alter. Bereits Frauen Ende zwanzig waren entrückt ins unvorstellbare Land der Arrivierten; begehrenswerte Frauen allerdings waren sie noch.
    Jakob, vagabundierender Geschichtsstudent und sehniger Karatekämpfer, war von der Mutter seines Nachhilfeschülers beiseitegenommen worden. Sie wolle in Ruhe über dessen Lateinschwäche reden.
    »Er geht jetzt zum Hockey«, lächelte sie. Der Junge packte bereits seine Sachen.
    »Also, was meinen Sie?«, forschte sie, als ihr Sohn die Tür noch nicht zugezogen hatte. Er sollte hören, dass es um ihn ging und garantiert um nichts anderes. »Sind überhaupt Fortschritte zu erkennen?«
    Fortschritte? Aber ja. Unbestreitbar. Natürlich! Jakob ließ sich ein paar ermutigende Worte einfallen zur Begabungdes Kleinen, zu dessen verzeihbarer Ablenkbarkeit, dem guten Willen und der allmählichen Einsicht, dass man eben üben müsse.
    »Na ja«, sagte die Mutter leichtherzig. »Auf jeden Fall zahle ich Ihnen jetzt mal den Monat im Voraus.« Die Floskeln hatten ihr als Gespräch schon genügt. »Ich hole das Geld.«
    Sie öffnete eine Tür, hinter die Jakob bislang nie gesehen hatte, und ließ sie offen stehen. »Kommen Sie ruhig rein!«, rief sie. Jakob lehnte sich an den Türrahmen. Es war das Schlafzimmer. Die Wände waren in sanftem Hellgrün gestrichen; davor machten sich düstere Möbel breit. Ein mit Blumen gemusterter Seidenüberwurf lief in Fransen aus.
    Die anheimelnd füllige Frau kramte in einer wuchtigen Kommode mit gedrechselten Säulen. Jakob fiel ein Wäscheständer auf, der lückenhaft behängt am Fenster stand. Hinter den Gardinen prickelte herbstlicher Regen gegen die Scheiben. Man hörte die S-Bahn. Die Schienen verliefen auf einem baumgesäumten Damm hinter der gegenüberliegenden Häuserreihe. In diesem Augenblick rollte der Zug
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