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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren
Autoren: Arne Dahl
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›Formaten‹ – wirklich alles – war darauf angelegt, so viel Zuschaueraufmerksamkeit wie möglich auf die Werbung zu lenken. Die Programme wurden so gestaltet, dass so viele und so lange Werbepausen wie möglich eingefügt werden konnten, ohne dass der Zuschauer einen Unterschied merkte. Qualität war seit langem schon identisch mit der Einschaltquote.
    Diese Sichtweise wurde jetzt von den freien Produktionsfirmen blind auf das schwedische Fernsehen übertragen. Und eine Produktionsfirma war ihm besonders aufgefallen. Sie war immer die schlimmste. Jedes Mal, wenn man glaubte, der Tiefpunkt sei erreicht, kein neuer Niedrigwasserstand sei mehr vorstellbar, war Kalastelevision zur Stelle und versetzte die Welt in Staunen. Dieser Sender war auch der mutigste – allgemein bewundert für die Fähigkeit, neue ›Formate‹ zu schaffen. Echt schwedische ›Formate‹.
    Die wiederum ins Ausland verkauft wurden. Doch nicht in die USA.
    Dokusoaps waren zwar nichts Neues mehr – seit vielen Jahren hatten die Zuschauer sich daran gewöhnt, Zeitgenossen dabei zuzuschauen, wie sie in den künstlichsten und erniedrigendsten Situationen hochgeschraubte Versionen ihrer selbst spielten – aber die neue Dokusoap von Kalastelevision hatte ihn an die Decke gehen lassen. Ganz im Ernst. Es reichte nicht mehr zu schreiben -plötzlich musste gehandelt werden.
    Das war sein Sturz.
    Und der war tief.
    Die neue Dokusoap von Kalastelevision hieß ›Makeover‹ und spielte in einem schwedischen Großkrankenhaus.
    Zahlreiche schwedische Krankenhäuser befanden sich wirtschaftlich derzeit in einem eigenartigen Zustand, sie waren teils staatlich, teils in Privatbesitz. Eine unglaublich lukrative Grauzone, deren Struktur so diffus wie die Verteilung glasklar war: Geld wurde aus dem öffentlichen Sektor zu diversen Aktieninhabern hinübergepumpt. Vollkommen einseitig. Die Provinzregierungen, verantwortlich – zumindest offiziell – für das Gesundheitswesen im Land, wurden häufig von einer Partei geführt, die die Provinzregierungen abschaffen und das Gesundheitswesen privatisieren wollte. Dieses Paradox gipfelte darin, dass man mehr oder weniger bewusst die Provinzregierungen in den Konkurs trieb. Um zu zeigen, dass sie nicht funktionierten. Der Auftrag lautete ganz einfach, so schlechte Arbeit wie nur irgend möglich zu leisten. In krassem Widerspruch zu den Gesetzen des Landes verkaufte man bedenkenlos Krankenhäuser, die folglich im gelobten Gebiet der Grauzone landeten, wohin alle Aktieninhaber strebten, weil man dort ganz einfach viel mehr Geld von den Bürgern geschenkt bekam. Viel näher konnte man einem echten, altmodischen Monopol nicht kommen. Da lagen sie, wiewohl in einer juristischen Zwickmühle, in einem catch 22 der Öffentlichkeit, sanktioniert von der Provinzregierung, nicht sanktioniert vom Gesetz, und zogen Knete an Land. Je länger dieser catch 22 anhielt, desto besser. Und am Ende des langen, hellen Tunnels offenbarte sich ein anderes, noch klareres Licht: ein rein privates Gesundheitssystem. Zu dem alles längst tendierte. A-Krankenhäuser für Kapitaleigner und erlesene Angestellte, B-Krankenpflege für alle anderen. Es bedurfte großer Anstrengungen, diese Entwicklung aufzuhalten. Alles war schon vorbereitet. In einem dieser Krankenhäuser spielt ›Makeover‹. Kalastelevision hatte sich in die Stationen für plastische Chirurgie eingekauft und sie für ein halbes Jahr belegt. Zwanzig Personen, die mit ihrem Aussehen unzufrieden waren, hatte man aus Tausenden und Abertausenden Bewerbern ausgesucht. Die Teilnehmer sollten eine vollständige Verwandlung durchlaufen, gratis, ein ›makeover‹, vom Kleidungsstil und der Frisur bis zum Gesicht und zur Körperform. Ungefähr die Hälfte der Bewerber schied aus, ohne eine Chance zu bekommen. Die Woche begann mit einer Abstimmung in der Sonntagssendung ›Makeover – The Selection‹. Sämtliche Kandidaten stimmten anonym darüber ab, wer verwandelt werden sollte. Wer die meisten Stimmen bekam, konnte sein ›makeover‹ beginnen. Die plastischen Chirurgen leiteten die Verwandlung ein. Bierbäuche verschwanden, Nasen wurden halbiert, Doppelkinne lösten sich in Luft auf, Schultern wurden verbreitert, Wangen geliftet, Brüste vergrößert, Penisse verlängert, Lippen aufgefüllt. Dann kamen die Makeup-Künstler an die Reihe, die Friseure und Modedesigner, und am Samstag war es so weit für die große erste Prüfung, die Hauptnummer des Programms: ›Makeover –
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