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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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fiel schwer, sich das Schiff nicht als unglaublich hohes Gebäude vorzustellen) durchfahren, und dennoch war nach unten noch kein Ende des Schachtes abzusehen. Das Schiff war so groß – so unsinnig groß –, dass der Verstand nicht einmal seine Grenzen zu erfassen vermochte.
    »Ja, schon gut. Und jetzt tu mir den Gefallen und hau ab!«
    »Wie bitte?«
    »Fahr weiter!«
    Was der Fahrstuhl natürlich nicht tun würde – es gab ja auch keinen triftigen Grund dafür, außer, sie zu beschwichtigen. Er hatte nichts anderes zu tun, als auf sie zu warten. Volyova war als einziger Mensch auf dem Schiff wach, folglich hatte niemand außer ihr eine Veranlassung, die Fahrstühle zu benutzen.
    Vom Mittelschacht bis zum Kälteschlaftank des Captains war ein weiter Weg. Und sie musste einige Umwege nehmen, denn weite Teile des Schiffes waren mit Viren verseucht, die ausgedehnte Funktionsstörungen verursachten, und konnten deshalb nicht betreten werden. Einige Zonen waren mit Kühlmittel überflutet, in anderen trieben sich bösartige Pförtnerratten herum. Wieder andere wurden von wild gewordenen Verteidigungsschleppsäcken bewacht, denen Volyova lieber aus dem Weg ging, wenn sie nicht gerade Lust auf eine Verfolgungsjagd hatte. Einige Räume waren mit Giftgas gefüllt, luftleer oder hochgradig verstrahlt. In manchen sollte es sogar spuken.
    Volyova glaubte nicht an Gespenster (abgesehen von den Geistern natürlich, die sie vom Spinnenraum aus hörte), aber alles andere nahm sie durchaus ernst. Gewisse Bereiche des Schiffs betrat sie nur bewaffnet. Aber die Umgebung des Captains war ihr soweit vertraut, dass sie keine umfangreicheren Vorsichtsmaßnahmen traf. Immerhin war es hier kalt, und so schlug sie den Kragen ihrer Jacke hoch und zog sich die Mütze weiter über die Ohren. Die Maschen scheuerten an ihren Haarstoppeln. Sie zündete sich eine neue Zigarette an. Nach mehreren tiefen Zügen wich die Leere aus ihrem Kopf und wurde durch eiskalte, militärische Wachsamkeit ersetzt. Sie kam gut allein zurecht und freute sich nur in Maßen darauf, wieder menschliche Gesellschaft zu bekommen. Vor allem, wenn das bedeutete, dass sie sich mit der Nagorny-Situation auseinandersetzen musste. Vielleicht würde sie sich doch nach einem neuen Waffenoffizier umsehen, wenn sie das Yellowstone-System erreichten.
    Wie war diese Sorge nur durch ihre mentale Abschirmung gedrungen?
    Im Augenblick beschäftigte sie doch gar nicht Nagorny, sondern der Captain. Und da war er auch schon, er oder die ersten Ausläufer dessen, was aus ihm geworden war. Volyova nahm sich zusammen. Sie musste Ruhe bewahren. Die bevorstehende Untersuchung verursachte ihr jedes Mal von neuem Übelkeit. Sie fiel ihr schwerer als den anderen; ihr Abscheu war stärker. Sie war brezgati; zimperlich.
    Es war ein wahres Wunder, dass Brannigans Kälteschlaftank immer noch funktionierte. Volyova wusste, dass es sich um ein sehr altes – überaus robustes – Modell handelte. Der Tank war immer noch redlich bemüht, die Körperzellen in Stasis zu halten, obwohl aus breiten, paläolithischen Sprüngen in seiner Schale längst faserige Metallwucherungen quollen. Das Gewächs kam aus dem Inneren und breitete sich aus wie ein Pilz. Was immer von Brannigan noch übrig war, befand sich tief darunter.
    In der Nähe des Tanks war es bitter kalt und bald fror Volyova erbärmlich. Aber sie hatte zu tun. Sie zog eine Kürette aus ihrer Jacke und brannte dünne Späne des Gewächses ab, um sie zu analysieren. In ihrem Labor wollte sie verschiedene Viren darauf ansetzen, in der Hoffnung, eine Waffe zu finden, für die das Gewächs anfällig war. Sie wusste aus Erfahrung, dass die Mühe zum großen Teil vergeblich sein würde – das Gewächs verstand es nur zu gut, alle molekularen Instrumente stumpf zu machen, mit denen sie es attackierte. Immerhin konnte sie sich Zeit lassen: der Tank kühlte Brannigan auf wenige Hundert Millikelvin über dem absoluten Nullpunkt herunter, und die Kälte schien die Ausbreitung doch etwas zu bremsen. Andererseits wusste Volyova, dass bisher noch kein Mensch aus diesem Temperaturbereich erfolgreich reanimiert worden war, aber das war beim derzeitigen Zustand des Captains eher zweitrangig.
    Sie sprach mit gedämpfter Stimme in ihr Armband. »Logbuchdatei über den Captain öffnen und folgenden Zusatz anfügen.«
    Das Armband meldete mit leisem Zirpen seine Bereitschaft.
    »Dritter Kontrollbesuch bei Captain Brannigan seit meiner Reanimation. Die…«
    Sie
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