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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit
Autoren: Alastair Reynolds
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zurückzukommen und die Suche wiederaufzunehmen. Wenn jedoch Girardieu siegt, sind alle deine Funde keinen Pfifferling mehr wert.«
    »Ich weiß«, sagte Sylveste. Für einen Moment ruhte die Feindseligkeit zwischen ihnen. Calvins Schlussfolgerung war zwingend, und es wäre kleinlich gewesen, das zu bestreiten.
    »Dann wirst du meinen Rat befolgen?«
    Sylveste hob die Hand, um die Kassette auszuwerfen. »Ich werde darüber nachdenken.«

Zwei
    An Bord eines Lichtschiffs, Interstellarer Raum, 2543
    Das Problem mit den Toten war, dachte Triumvir Ilia Volyova, dass sie nicht wussten, wann sie den Mund zu halten hatten.
    Sie hatte soeben von der Brücke aus den Fahrstuhl bestiegen, nachdem sie sich achtzehn Stunden lang mit verschiedenen Simulationen einstmals lebender Personen aus der fernen Vergangenheit des Schiffes beraten hatte. Nun war sie todmüde. Sie hatte mit allen Tricks versucht, einem oder mehreren ihrer Gesprächspartner brauchbare Informationen über die Herkunft der Weltraumgeschütze zu entlocken. Es war Knochenarbeit gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil einige der älteren Beta-Persönlichkeiten nicht einmal Neu-Norte sprachen und die Software, auf der sie liefen, sich aus irgendeinem Grund zu keiner Übersetzung bewegen ließ. Volyova hatte ununterbrochen geraucht, während sie sich mit den grammatikalischen Fallen des Mittel-Norte herumschlug, und sie dachte nicht daran, ihren Lungen jetzt Abstinenz zu verordnen. Nach den aufreibenden Gesprächen war sie völlig verkrampft und brauchte die Zigaretten mehr denn je. Die Klimaanlage des Fahrstuhls funktionierte nicht richtig, und so hatte sie die kleine Kabine schon nach wenigen Sekunden vollkommen eingenebelt.
    Volyova schob den Ärmel ihrer pelzgefütterten Lederjacke zurück und befahl der Sehnsucht nach Unendlichkeit über das Armband, das sie um ihr knochiges Handgelenk trug: »Zum Captainsdeck.« Daraufhin übertrug das Schiff einem mikroskopisch kleinen Teil seiner selbst die primitive Aufgabe, den Fahrstuhl zu steuern, und im nächsten Augenblick sackte ihr der Boden unter den Füßen weg.
    »Wünschen Sie Musik während der Fahrt?«
    »Nein. Und ich habe dir schon an die tausend Mal erklärt, dass ich nur meine Ruhe haben will. Halt den Mund und lass mich nachdenken!«
    Sie fuhr durch das Rückgrat des Schiffes, einen vier Kilometer langen Schacht, der vom Bug bis zum Heck reichte. Irgendwo am symbolischen oberen Ende war sie eingestiegen (sie kannte nur 1050 Decks) und sank jetzt mit einer Geschwindigkeit von zehn Decks pro Sekunde nach unten. Der Fahrstuhl war ein auf Magnetfeldern schwebender Glaskasten. Die Innenverkleidung des schienenlosen Schachts wurde gelegentlich durchsichtig, so dass sie sich orientieren konnte, ohne auf die Karte im Fahrstuhlinnern sehen zu müssen. Jetzt fuhr sie durch Wälder: Terrassengärten mit planetarer Vegetation, die aus Mangel an Pflege verwildert war und bald sterben würde, weil die meisten der UV-Lampen, die den Wald einst mit Sonnenlicht versorgt hatten, defekt waren und niemand Zeit hatte, sie zu reparieren. Unterhalb der Wälder folgten die achthunderter Decks; riesige Schiffszonen für die Unterbringung der Mannschaft, als die noch in die Tausende ging. Nach Deck 800 fuhr der Fahrstuhl durch den riesigen und zurzeit statischen Anker, der das drehbare Habitat des Schiffs von den nicht drehbaren Versorgungsbereichen trennte, dann sank er durch zweihundert Decks mit Kryogen-Tanks; genügend Kapazität für hunderttausend Schläfer – falls welche da gewesen wären.
    Volyova befand sich mehr als einen Kilometer unterhalb ihres Ausgangspunkts, aber der Druck blieb konstant, die Lebenserhaltung war eines der wenigen Systeme, die noch so funktionierten, wie sie sollten. Dennoch sagte ihr ein Restinstinkt, dass ihr bei dieser Sinkgeschwindigkeit die Ohren knacken müssten.
    »Atriumdecks«, meldete der Fahrstuhl, der auf eine längst überholte Ausgabe des ursprünglichen Schiffsplans zugegriffen hatte. »Hier finden Sie in Ihrer Freizeit Zerstreuung und Entspannung.«
    »Sehr komisch.«
    »Wie bitte?«
    »Ich meine, du hast schon recht merkwürdige Vorstellungen. Kennst du jemanden, der in seiner Freizeit freiwillig in einen Druckanzug steigt und sich mit Strahlenschutzmedikamenten volldröhnt, bis ihm die Gedärme auslaufen? Ich halte das nicht für ein reines Vergnügen.«
    »Wie bitte?«
    »Vergiss es«, seufzte Volyova.
    Nun ging es einen Kilometer weit durch Zonen mit vermindertem Druck. Volyova
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