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Und wir scheitern immer schöner

Titel: Und wir scheitern immer schöner
Autoren: Dirk Bernemann
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Absicht oberflächlich, bin Opfer mangelnder Gehirn- und Körperbefruchtung.
     
    Diese Wochenenden. Ich gehe dann meistens mit meiner Arbeitskollegin Sandra aus. Die ist fast so frustriert wie ich, allerdings sieht sie besser aus. Sie hat Haare wie aus Gold. Deswegen ist sie bei Männern meistens mehr gefragt als ich. Ich stehe fast immer dumm daneben und ertränke meine Gedanken an ein Wunschleben in kleinen Gläsern mit brennbaren Schnäpsen.
     
    Mein Wunschleben ist aber gar nicht so abstrakt: ein Mann, zwei Kinder, ein Hausfrauendasein in einer Kleinstadt. Das Leben lang den Typen ficken, der einem ein Leben finanziert. Und den Kindern sagen, wie was geht. Wer, wie, was und so. Kein Problem. Das kann ich schaffen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Ich will Wochenenden ohne Schnaps, dafür mit ‹Wetten, dass ...› und einem Mann, der neben mir einschläft. Ich bin jetzt zweiunddreißig und habe Angst, dass sich die Tore schließen, bevor ich auf der richtigen Seite bin. Nur, wie komme ich dahin? Mein Versuchen wird verzweifelter von Mal zu Mal. Keine Liebeslieder. Nur die Oberfläche angekratzt. Und allen Tiefgang wegbetäubt. Saalwette in mir: Thomas Gottschalk tönt mir subversiv grinsend ins Gesicht: «Wetten, dass Sie es nicht schaffen, glücklich zu werden! Top, die Wette gilt.» Und dann der Psychoton, der jede Konzentration auf gesetzte und geschätzte Ziele hemmt.
     
    Die Versuche, einen Lebensteiler zu finden, endeten bislang immer tragisch. Keine Beziehung hielt ein Jahr. Kein Mann mit ehrlichem Interesse. Irgendwann ein Schutzwall aus Ablehnung um mich installiert und doch ein verzehrendes, sehnsuchtsvolles Ich in mir. Sehnsucht nach Berührungen aus Liebe. Nach Händen, die mich tragen wollen.
    Nach Ehrlichkeit und Treue und ein Leben ohne aufgemalte Fassade. Dass da einer kommt, der das, was unter meiner Aufgemaltheit steckt, schätzt und für gut befindet. Diese Vorstellung scheint mir so realistisch wie Atmen unter Wasser.
     
    Letztes Wochenende hatte ich nach langer Zeit mal wieder Sex. Sandra und ich waren mal wieder ziemlich betrunken und besuchten eine Diskothek. Ich versuchte, erotisch zu tanzen und gab mich so der Lächerlichkeit des öffentlichen Auges preis. Goldfrisur Sandra setzte sich lediglich an den Tresen und musste nicht mal mehr zahlen fürs schnelle Betrunken- und Geleckt-Werden.
     
    Doch dann kam einer und schenkte mir einige Minuten und sein ungeteiltes Interesse. In mir ging ein Feuer an und ich dann mit ihm nach Hause.
     
    Wir haben gefickt wie die Straßenköter, aber dann hat er sein Interesse revidiert und mich vor die Tür gesetzt. Ich war mit einer Hoffnung gesegnet, die im selben Augenblick zertreten wurde. Ein kleines Gefühl, wie eine aufkeimende Pflanze dahingerafft vom Spaten der Realität. Umgenietet. Für falsch befunden. Risse im Kopf aus Sehnsucht und doch keine Hoffnung.
     
    Seine Berührungen haben mich multipel ‹orgasmatisiert›. Sein Schwanz hat mich ausgefüllt. Er hat mich um den Verstand gepoppt, der dann wiederkam, als ich halb angezogen und verstört in seinem Treppenhaus stand und es mehr kalt als Liebe war. Ich bin dann nach Hause und hab mich nett vergewaltigt gefühlt. Ich habe trotzdem gut geschlafen.
     
    Das ist jetzt fünf Tage her und jetzt ist wieder Alltag. Graue Suppe hängt jeden Morgen am Himmel und auf den Straßen. Jeden Morgen sieht es gleich aus. Es ist Herbst, der Winter kommt, der Wind ist kalt, die Stadt wirkt zerbombt. Aber es ist kein Krieg, sondern Sehnsucht.
     
    Ich verlasse nach drei Tassen Kaffee und vier Filterzigaretten meine kleine Mietwohnung, um mit dem Wagen Richtung Friseursalon zu fahren. Letzte Kontrollblicke in den Spiegel haben mir gesagt: «Anders geht's nicht, Tussi, vergiss das Schönsein in diesem Leben!» Ich hasse mein morgendliches Spiegelbild. Ich erkenne mich manchmal unter meiner Kosmetik nicht wieder. Wo bin ich eigentlich?
     
    Gedankenverloren besteige ich meinen Kleinwagen. Musik an. Technobässe zerreißen meine Gedanken. Zersplittern die Stränge meiner Gehirnwindungen. Das fühlt sich gut an. Das Leben ist wieder ein wenig rhythmischer als zuvor. So muss ich weniger denken. Nur hin zum Salon. Ich muss mich ein wenig beeilen. Ich parke aus, drehe die Musik lauter und fahre. Verlasse den Ort. Die Bässe dringen in mich ein. Ich fahre auf eine Landstraße. Die Bässe ficken mich. Dringen durch mein Ohr. Besänftigen mein Gehirn. Ich beschleunige den Wagen. Der Morgen hat einen Rhythmus. Es
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